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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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über das hemmungslose Trinken anderer auslassen, sich die meisten Sorgen über ihre eigene Gewohnheit machen.
    Indem wir unsere Befürchtungen, Mängel und Selbsthaß auf andere projizieren, erhalten wir uns diese Schwächen. Wie jeder Arzt Ihnen sagen kann, besteht der erste Schritt zur Heilung einer Sucht darin, anderen gegenüber laut zu bekennen, daß man abhängig ist.
    So sei es auch mit anderen Problemen. Es ist paradox, aber sobald Sie anderen sagen, was für ein lausiger Autofahrer Sie sind, sind Sie kein lausiger Autofahrer mehr. »Jetzt muß ich aufpassen«, sagen Sie sich wie jeder gute Fahrer, »es ist ziemlich neblig, und ich bin ein verdammt schlechter Fahrer.« Jeder Workaholic wird Ihnen bestätigen, daß er sich nur deshalb so zur Arbeit treibt, weil er so schrecklich faul ist.
    G. K. Chesterton, der moderne Meister des Paradoxen, hatte das eingesehen, als er eine lange Leserbriefdebatte zum Thema »Was läuft falsch in diesem Land?« mit den Zeilen zum Abschluß brachte: »Sir, ich weiß ganz genau, was in diesem Land falsch läuft. Ich bin es.«
    Wenn alle geschrieben hätten, es sei
ihre
Schuld, daß das Land so heruntergekommen sei, statt es der Jugend in die Schuhe zu schieben, den Reichen, den Eltern, den Armen, den Lehrern, den Experten, den Medien, den Politikern – allen, nur nicht sich selbst, dann hätte von vornherein alles gestimmt im Land. Eine Nation aus Chestertons, ein Land, dessen Bürger sich selbst und niemand anders die Schuld geben, wäre ein Utopia oder möglicherweise das Reich Gottes.
    Wohlgemerkt hätte Chesterton wahrscheinlich hinzugesetzt, daß man mit den Geistern am besten fertig wird, indem man sie austrinkt.

Verrückt wie eine Schauspielerin
     
    Ich hoffe, eines Tages die Neuausgabe von
Roget’s Thesaurus
zu bearbeiten, nicht weil ich die Stunden der Schufterei und Forschung so genießen würde, die das mit sich brächte, auch nicht, weil ich mir einrede, über besondereEinsichten in das Wesen englischer Synonyme zu verfügen. Es gibt nur einen Grund für solch Job, Dienst, Beruf, Amt, Arbeit, Aufgabe, Beschäftigung, Fach, Gewerbe, Berufung, Handwerk, Metier, Posten, Funktion, Pflicht, Plackerei, Rolle, Streben, Broterwerb, Engagement, Obliegenheit: Ich bekäme endlich die Gelegenheit, eine langjährige Lücke in den Standardausgaben dieses unverzichtbaren Werkes auszufüllen. Denn meine erste Amtshandlung bestünde darin, unter der Kategorie »Wahnsinnige« das Wort »Schauspielerin« aufzunehmen.
    Ich verstehe einfach nicht, warum frühere Herausgeber seit der Zeit des seligen Roget persönlich es verabsäumt haben, dem unzerstörbaren Glied zwischen diesen zwei Arten und Zuständen des weiblichen Menschen ihr offizielles Siegel aufzudrücken. Meine Mitarbeit würde mir die Möglichkeit eröffnen, der Gelehrsamkeit und Wissenschaft diesen Dienst zu erweisen.
    Von der Auslieferung meiner Neuausgabe an bräuchte niemand mehr zu sagen: »Ich hab’ neulich ’ne Schauspielerin getroffen, die war total durchgeknallt.« Eine solche Aussage wäre so überflüssig wie »Mir ist gestern was ganz Außerordentliches passiert! Abends wurde es dunkel. Die Sonne verschwand einfach im Westen«, oder »Ich hab’ gestern ’n Typ mit gefärbter Brille gesehen. Fürchterliche Macke.«
    Man darf natürlich nicht den umgekehrten Schluß ziehen, alle wahnsinnigen Frauen seien Schauspielerinnen. Das wäre völliger Quatsch. Indes ist es auf gewaltige, wunderbare und umfassende Weise wahr, daß alle Schauspielerinnen wahnsinnig sind.
    Ich habe überhaupt nichts gegen Verrückte. Jeder, der Jonathan Millers ausgezeichnete Sendung über die mental Erregten gesehen hat, weiß, daß sie in der ganzen Menschheitsgeschichte den gemeinsten Gemeinheiten zum Opfergefallen sind. Wenn man sie nicht in engsitzenden Westen festhielt, jagte man ihnen Strom durch den Körper oder ließ sie trepanieren. Das wünsche ich Schauspielerinnen keineswegs, die meistenteils charmant, großzügig und gütig sind. Behämmert bis über beide Ohren, wie gesagt, aber einfach bezaubernd.
    Aber warum sage ich, Schauspielerinnen seien wahnsinnig? Es liegt nicht daran, daß so viele von ihnen an Astrologie glauben: das ist kein Zeichen von Wahnsinn, sondern bloß von Dummheit; ein Leiden, das Gesunde und Verrückte gleichermaßen ereilt. Und sie sind auch nicht wahnsinnig im öden Sinne des »Hah! Man muß einfach verrückt sein, wenn man diesen Job macht!« Wir alle wissen doch, daß niemand auf Erden so

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