Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
bedrückend normal ist wie derjenige, der einen Button mit der Aufschrift »Man muß nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten – aber es hilft!« trägt.
Nach meiner Erfahrung laufen mehr gute Schauspielerinnen herum als gute Schauspieler. Verrückt zu sein, liegt mit gutem Schauspielen keineswegs im Widerstreit. Ganz im Gegenteil. Der Wahnsinn entspringt gerade der Auffassung, mit der sie an ihre Arbeit herangehen.
Im Probenraum sind die meisten Schauspieler – durchaus verständlich – sehr verlegen. Stellen Sie sich das erste Lesen mit verteilten Rollen von, sagen wir,
Oedipus Rex
vor. Der Schauspieler, der den Ödipus spielt, kommt zu der gewaltigen Passage, wo er erkennt, daß er ein Vatermörder und Mutterbesteiger ist. Sophokles will einen Schrei hören. Einen lauten Schrei, ein monumentales »Aieeeeeeeeeee«, ein durchdringendes schrilles Heulen der Todespein. Jeder britische Mann, der sich ohne Kostüm diesem Moment konfrontiert sieht, bloß mit Ensemble und sonstigen Mitarbeitern als Publikum, wird sofort rot anlaufen, grinsen, mit den Füßen scharren und murmeln:»Und dann kommt der Schrei, ähm, dazu kommen wir, ömph, später ja noch« und so schnell wie möglich weiterlesen. Die Darstellerin der Iokaste dagegen, die im kalten Probenraum zu ihrer großen Szene kommt, wird mit einem Plastikbecher in der einen, Skript in der anderen Hand, ein so markerschütternd nacktes Klagegeheul anstimmen, daß es jedem Hörer tief in die Seele fährt. Null Verlegenheit. Wenn es eine befriedigende Definition des Wahnsinns gibt, dann ist es der vollständige Mangel an sozialem Schamgefühl.
Englische Schauspieler sind ebenso wie die von ihnen gespielten Figuren hochnotpeinliche Wesen. Ironie, Selbsthaß, Scham, Schuld und Verlegenheit sind Eigenschaften, in denen der englische Schauspieler als unübertroffener Meister gilt. Macbeth, der über Duncan und Degen jammert, Hamlet, der sich hinter Witz und vorgeschützter Überspanntheit versteckt, beide werden von Lady Macbeth und Ophelia in den Schatten der Normalen gestellt. Lear ist natürlich eine Ausnahme, aber schließlich weiß jeder, auch wenn er sonst nichts weiß, daß Lear unspielbar ist, zumindest für englische Schauspieler. Darum geht’s ja grade.
Wenn man die Verlegenheit, geistige Verstopfung und Ablehnung von Gefühlsregungen, die den britischen Mann kennzeichnen, durch das andere Ende des Fernrohrs betrachtet, kann man diese Eigenschaften natürlich mit einiger Berechtigung als wahrhaft verrückt ansehen, und vielleicht haben ja Schauspieler wie ich alle vier Räder ab, und die unverlegenen, emotional offenen Schauspielerinnen sind so normal wie Teelöffel.
Das muß der Thesaurus entscheiden.
Das Alphabet der Motoren
Ein Bekannter zeigte mir mal einen Artikel im
Boy’s Wonder Book of Science
aus den Dreißigern, der mit typisch jungenhafter Verwunderung über den neu aufgekommenen Elektromotor spekulierte. Elektromotoren, so behauptete der Artikel, würden die Welt verändern. Schon bald würde sich jedermann an diese magischen Requisiten gewöhnen müssen. Eine ganzseitige Federzeichnung entwarf das Haus der Zukunft: auf dem Dachboden stand ein gigantischer Elektromotor, der mit einem Treibriemensystem Wasserpumpen, Rasenmäher, Salatschleudern, Waschmaschinen, Mausefallen, Küchenmixer und Gott weiß was noch alles antrieb.
In einer Hinsicht hatte der Artikel recht: Elektromotoren haben unser Leben wirklich verändert. Was die Verfasser jedoch nicht vorhergesehen haben, war, daß nicht wir uns an sie gewöhnen mußten, sondern daß sie sich an uns gewöhnt haben. Anstelle eines riesigen, alles kontrollierenden Elektromotors auf dem Dachboden verfügen wir heute über Dutzende kleine, über das ganze Haus verteilt, die alle im verborgenen arbeiten. Jeder Videorecorder, Geschirrspüler, Gartenshredder, elektrische Rasierapparat und jedes schnurloses Instrument zur körperlichen Erholung und Massage hat einen. Was Elektromotoren angeht, haben wir als Zivilisation uns ihnen nicht mehr angepaßt als die Phönizier.
Als der Heimcomputer auf den Markt kam, waren düstere Prognosen zu vernehmen. »Herrjemine«, schrien die Leute, »der Heimcomputer ist auf den Markt gekommen, und ich bin viel zu alt, als daß ich mich da jemals einarbeiten könnte. Videorecorder sind schon schlimm genug – ich muß immer meine vierjährige Tochter holen, um meinen zu programmieren –, aber Computer …«
Alle Welt befürchtete, die Bevölkerung würde sich
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