Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
den Unterschied zwischen Geschichte und Fiktion kennt, ist schon extrem grotesk, die können doch ein Theaterstück nicht von einem Glas eingelegter Walnüsse unterscheiden oder ein Kunstwerk von einem feuchten, nach Zitrone duftenden Erfrischungstüchlein (wie Olympic Airlines es freundlicherweise für die Teintpflege nach dem Abendessen an Bord bereithält); der Gedanke, ihnendiese Unterscheidungsgabe zuzutrauen, ist absurd, abwegig und grauenhaft. Fiktion, das muß ich anscheinend allerorten den Dummköpfen klarmachen, tut nur so, genau wie die Politik. Wenn jede Fiktion, die sich als Faktum verkleidet, sei dieses nun ekelerregend nationalistisch oder gar nicht mal so haarsträubend ikonoklastisch, gleich verboten werden sollte, würden nicht nur Ausgaben von Shakespeare und Milton und Dickens und Joyce und Shaw auf dem Scheiterhaufen landen, sondern jede je aufgezeichnete Äußerung eines menschlichen Wesens. Als Philologe sehe ich mich nämlich in der Lage, Ihnen mitzuteilen, daß Sprache Lüge ist. Jawohl! Die Sprache selbst. Ein Stein ist ein Stein, aber das Wort »Stein« ist kein Stein, sondern ein Zeichen, eine sprachliche Banknote, die wir austauschen, um die Vorstellung eines Steins anzuzeigen. Das erspart uns die Mühe, einen aus der Erde hochzuwuchten, um unserem Gesprächspartner zu zeigen, was wir meinen.
Ob die Ansammlung von Albernheit, Vorurteil, Haß und Angst, als die sich die britische Öffentlichkeit darstellt (die Hörerschaft immer ausgenommen), und die Instrumente von deren politischem Willen die Ökonomie verstehen, die Angebot und Nachfrage dieser sprachlichen Banknoten reguliert oder nicht – und meine Fachkollegen mögen mir diese ziemlich mechanistische, prähulmistische Herangehensweise nachsehen –, ist unwesentlich.
Oh, meine Herren, meine Damen, all das – die Lügen, die Vergeblichkeit, der Starrsinn, die Narretei. Wenn Sie Unterdrückung, Zensur, bigottes Moralisieren und Propaganda im Fernsehen haben wollen, dann gehen Sie doch nach Amerika! Da haben Sie’s! Jetzt bin ich müde, meine Schenkel und Schinken sind verspannt vom Flug aus Heraklion, ich muß meinen Gesäßmasseur in Addenbrookes aufsuchen: ein wunderbarer Mann – er hinterläßt kein Heck ungekräftigt. Wenn Sie haben, dann gute Nacht.
Trefusis lästert
STIMME: Donald Trefusis, Professor für Philologie an der Universität Cambridge und außerordentlicher Fellow am St Matthew’s College, präsentiert eine neue Folge seiner weites Aufsehen erregenden »Hörfunkstunden«. Heute spricht er voller Verärgerung und Zorn über das Thema Blasphemie.
»Das Laub verfault«, gellt Tennyson, »das Laub verfault und fällt.« Da wir uns der Jahreszeit ohne Licht, ohne Sonne, ohne Wärme, ohne Laub, ohne Freude, ohne Grün nähern, dem November, wie Hood es mit archetypischer Paronomasie zu formulieren liebte, wendet mein Geist sich ewigen Wahrheiten zu. Seine Exzellenz, der Bischof von St Albans, Prälat in einer langen Reihe von Bücherverbrennern und Bannfluchern, hat es kürzlich für angebracht gehalten, ein Wohltätigkeitsprojekt mit dem Titel – den ich nicht glauben mochte, aber meine jungen Freunde hier an der Universität versichern mir, er laute wirklich so –
Das höchst lustige und ausnehmend komische Weihnachtsbuch
zu verdammen, zu geißeln und im übrigen dem Scheiterhaufen zu überantworten. Ein Werk vieler Hände, dessen Erlös nach Afrika und in andere Gegenden gehen sollte, wo man zu diesem Julfest am dringendsten materieller Unterstützung bedarf.
Die Gesetze über Blasphemie sind in unserem großen, freien Land ebenso wie die über Hochverrat immer noch nicht aufgehoben worden. Blasphemie ebenso wie Hochverrat hatten ihren Sinn in Zeiten der Tyrannei. Auch nur im kleinsten Detail die offenkundigen Lügen in Frage zu stellen, auf denen die Macht von Kirche und Staat begründet war, hätte das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringen können. Eine Kette der Verlogenheit ist nur so stark wieihr schwächstes Glied. Es war Blasphemie zu behaupten, die Welt sei Millionen, nicht Tausende von Jahren alt, Hochverrat zu zweifeln, ob der König gerecht und gütig sei. Jahrhundertelang nährten Kirche und Staat ihre Völker mit Lügen und brauchten Gesetze wie die, mit denen sich Stalin so gut auskannte, um die Wahrheit in Schach zu halten.
Aber was, fragen wir eilends, haben Blasphemieparagraphen im heutigen Britannien zu suchen, und was glaubt das Episkopat eigentlich zu tun, wenn es sie ins Feld zu
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