Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Erfindungen hausieren zu gehen.
Sie haben gesagt, reichlich geschwollen, wie ich fand, der Service sei mit Radio 4 verwandt. Inwiefern verwandt?
Die Verwandtschaft mit unserem Radio 4 war vom ersten Moment an offenkundig. Eine ganze Reihe von Journalisten der Inlandsdienste der BBC wird bei der Ausstrahlung regelmäßiger World-Service-Programme eingesetzt. Malcolm Billings, Margaret Howard, Chris Kelly, Benny Green, John Tidmarsh, Dave Lee Travis, Renton Laidlaw, all das sind dem Radiohörer altbekannte Namen. Auch richtige Radio-4-Sendungen und Stücke werden gebracht:
Just A Minute, The Goon Show, My Music, Brain of Britain, Letter from America
und hundert andere sind weltweit ausgestrahlt worden. Aber es gibt auch reichlich Originalsendungen:
Meridian
, das tägliche Kunstmagazin,
Outlook
, die Tagesnachrichten- und Kommentarsendung,
Letterbox
, Margaret Howards Sichten von Hörerbriefen,
Radio
Newsreel, Sports Roundup, Book Choice, Network UK, Europe, Short Story, The Merchant Navy Programme.
Diese und viele andere, darunter Prestigehörspiele, sind spezielle World-Service-Sendungen, die ausschließlich für Auslandshörer produziert werden.
Prestigehörspiele? Was meinen Sie denn mit »Prestige«?
Ach, ich weiß nicht. Wahrscheinlich Hörspiele, in denen Michael Hordern sich unter den Sprechern befindet.
Ach du Schreck. Äh, kann ich jetzt gehen?
Ja, ja, lauf du nur.
Sehen Sie, der Ruhm des World Service ebenso wie der von Radio 4 beruht darauf, daß diese zu den letzten großen Bastionen des gesprochenen Worts gehören. Die Dominanz von Literaten und »Literarizität« in der Welt der Kommunikation verleitet uns dazu zu vergessen, daß das Radio eine viel »natürlichere« Kommunikationsform ist als der Druck. Lyrik und Geschichtenerzählen waren die Erfindung oraler Gesellschaften. Die Erfindung der Druckerkunst hat letztendlich dazu geführt, daß die Botschaft bearbeitet, abgepackt, distanziert, kontrolliert und modifiziert wurde. Die orale Tradition, die Praxis, unsere Stimme und unsere Sprache zu mehr zu benutzen, als uns nur nach dem Weg zur Toilette zu erkundigen oder über die laute Musik zu beschweren, ist bedroht. In der ganzen Welt dient das Radio nur dazu, Nachrichten und Musik zu verbreiten; das Fernsehen beschäftigt sich aufs verhängnisvollste mit Bildern, Handlung und Spektakeln; Bücher haben sich in die gespenstische Welt von Literaturpreisen und Snobismus zurückgezogen, und das Theater – also das Theater ist schon seit Jahren das Reservat von Mediokrität und dem verblühenden Leben des Mittelstands, der in einem von Bücherregalen gerahmten Bühnenbild sorgfältig herumironisiert.
Aber dank irgendeinem Patzer der Geschichte verfügen wir über einen florierenden Sender fürs In- und Ausland, der nur dafür da ist, uns zuzureden. Wir brauchen bloß zuzuhören. Der liebe Gott gab uns zwei Ohren und nur einen Mund, pflegte meine teure weißhaarige Mutter zu sagen, bis ich sie los wurde und mir eine jüngere besorgte, die besser zu meinem zarten Alter paßte.
Ist das unangenehm rassistisch, wenn ich noch anmerke, daß die Amerikaner, die keine ordentliche Radiostation für Wortbeiträge haben, auch so gut wie überhaupt nicht zuhören können? Früher brauchte ein Amerikaner Ohren, um seine Brille zu befestigen; angesichts der zunehmenden Verbreitung von Kontaktlinsen wird die Evolution im Lauf der nächsten hundert Jahre seine Ohren wohl vollständig abschaffen.
Wer erzählt der Welt Geschichten, kommuniziert Ideen, Phantasien und Eindrücke? Wer belehrt, amüsiert, alarmiert und beruhigt uns mit dem gesprochenen Wort? Hierzulande nur Radio 4 (und das um den Preis, den Giftmüll wahnsinniger Leserbriefe und Anrufe aufsaugen zu müssen) und weltweit nur der World Service der BBC. Ich glaube nicht, daß man deswegen gleich in chauvinistisches Freudengeheul ausbrechen sollte. Wenn die Voice of America, der Auslandssender der Vereinigten Staaten, anstelle des World Service ein anständiges Programm böte, dann würde ich das einschalten. Die Stimme Amerikas setzt aber leider nur neue Standards für eintönigen Propagandaquatsch. Und daher dürfen wir uns glücklich schätzen, daß dank historischer Koinzidenz dieses Land die Fackel trägt – und das hat den großen Vorteil, daß wir, egal in welchem Winkel der Erde wir uns auch befinden, immer die Cricket-Ergebnisse geliefert bekommen.
Abschnitt drei
›THE LISTENER ‹
Es folgt eine Auswahl von Artikeln, die ich für
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