Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
wertvollen Platz verbrauchen, den man besser für weniger schädliche Unternehmen verwandt hätte, beispielsweise für Schnelle Brüter oder Union-Carbide-Werke. Diese »typische Familie« verbringt also einen Tag in der von der Redaktion ausgewählten Gehenna und verteilt nach ihrer Rückkehr »Punkte auf einer Skala von eins bis zehn«. Sicherheit findet natürlich am meisten Berücksichtigung: Wird der Abenteuerspaßspielplatz ausreichend überwacht? Hat der Maschendraht des Tierweltzentrums mit artgerechtem Lebensraum – oder »Zoo«, wie wir hierzulande sagen – kleine scharfe Spitzen, die Jasons »LA Rams«-Sweatshirt zerreißen könnten? All diese Dinge wollen wohl bedacht sein.
Welch ein Gefühl überwältigenden Elends mich überkommt, wenn ich diesen und anderen Wahnsinn um sich greifen sehe, kann ich Ihnen gar nicht beschreiben. Marks & Spencer beispielsweise bauen »Hypermärkte« auf der grünen Wiese, weil, so ein Pressesprecher, die Zukunft im »Familieneinkauf« liegt. Da ich meine Familie liebe, und niemand könnte sie mehr lieben, bin ich mir absolut sicher, wäre in meiner Kindheit ein solches Verfahren regelmäßig praktiziert worden, dann hätte ich es noch vor meinem zehnten Geburtstag zu der Schlagzeile »Familienmassaker an Supermarktkasse« gebracht.
Kinder wollen Ruhe vor ihren Eltern, Eltern Ruhe vor ihren Kindern. Unabhängige und abweichende Interessen, in Wesen und Bedeutung oft elternmörderischer Natur, sind absolut notwendig. Eltern sollten den Geschmack ihrer Kinder, was Musik, Kleidung, Fernsehen oder Freunde angeht, ebensowenig teilen wie umgekehrt. Zumindest sollten sie es nicht
müssen
, man sollte es nicht erwarten. Und von uns sollte man nicht
erwarten
, den Geschmack unserer Regierung in Sachen Werte, moralische Einstellungenund Außenpolitik zu teilen. Mich werden Sie nicht in eine große christliche Nationalfamilie treiben, die nicht mit Schwuchteln redet, die Kranke und Behinderte dem Sozialamt überläßt und jedem eine ordentliche Tracht Prügel verpaßt, der es wagt, unseren Polizisten und Soldaten gegenüber frech zu werden oder zu viele unverschämte Fragen zu stellen.
Gehorsam, Zwang, Tyrannei und Unterdrückung gehören genauso zum Bild der Familie wie Liebe, Mitleid und gegenseitiges Vertrauen. Das kommt ganz auf die Familie an. Ich frage mich, welche »Familienwerte« wir am ehesten mit unserer Regierung verbinden? Nein, eigentlich frage ich mich gar nicht: es liegt auf der Hand.
Ein Blick in die Zukunft
IN ZWANZIG JAHREN
Wir setzen unseren unregelmäßigen Abdruck von Auszügen aus dem ›Listener‹ in zwanzig Jahren fort. Diese Woche ein Artikel vom Juni 2008.
Der berüchtigte Spion Simon Mulbarton spricht aus seiner Zelle in Wellington, Neuseeland.
Ja, ich war 79 nach Cambridge gegangen, und dort bin ich auch zum Thatcheristen geworden. Ich weiß, heute hört sich das sehr merkwürdig an, aber sehen Sie, damals lag ich damit ganz im Trend. Wir hatten in jenen Tagen Arbeitslosigkeit, Rezession und Rassenkonflikte in erheblichem Umfang, und viele Studenten waren naturgemäß genauso glühende Zyniker und leidenschaftliche Realisten wie ich,also entwickelten wir uns zu Monetaristen, Friedmanianern und einige sogar zu direkten Thatcheristen/Reaganisten. Vergessen Sie nicht, daß da auch noch die große Sache des Falklandkrieges war, hinter die wir uns scharen konnten: Viele ältere Studenten strömten nur so in die Rekrutierungsbüros, es war für uns ein richtiger ideologischer Schlachtruf, die Overdogs zu verteidigen. Sie müssen das ganze Klima dieser Zeit verstehen, wissen Sie. Es gab eine Menge sehr einflußreicher, unintellektueller Dons, Casey, Cowling, Roger Scruton, allesamt Stützen der Gesellschaft und Träger der ›Salisbury Review‹ – für uns eher gedankenlose Menschen lag der Thatcherismus einfach in der Luft. Wir lasen viel Paul Johnson und Ferdinand Mount, und ihre neuen Ideen, man solle raffen, soviel man kriegen könne, den Markt die Sachen regulieren lassen, die Gewerkschaften zu Hackfleisch machen und so weiter, waren ungeheuer verlockend für die neue Generation egoistischer junger Leute, die Angst vor der Arbeitslosigkeit hatten. Manch einer hatte sogar Amerika unter Reagan besucht, der etwas früher gewählt worden war, und uns inspirierte, was man dort vorfand – Sie dürfen nicht vergessen, damals hatte sich ja noch nicht herausgestellt, daß der Mann alle vier Räder ab hatte –, alles sah so einfach und
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