Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Hoffnungen in diese Geschichte, Mr Holmes. Ich will Ihnen nichts verheimlichen, mein letzter Roman ist gar nicht gut angekommen, und ich habe mir große Mühe gegeben, etwas zu schreiben, das diese Scharte wieder auswetzt und das Wohlwollen der lesenden Öffentlichkeit wiederherstellt. Ich komme mit meinem Verlag seit einiger Zeit nicht besonders gut aus und hoffe,daß mir diese neue Arbeit über die Tantiemen genug einbringen wird, um ihn verlassen und bei einer mir genehmeren Adresse unterkommen zu können.«
»Ist ihnen diese Absicht bekannt?« fragte Holmes.
»Nein, Mr Holmes, ich glaube nicht. Ich hege jedoch große Hoffnungen, was diese Geschichte angeht.
Hegte
große Hoffnungen, denn ich bin sicher, daß ich sie nie wiedersehen werde!« Der gequälte Romancier sprang mit einer Geste der Verzweiflung aus seinem Sessel. »Mr Holmes, es hat keinen Sinn. Wie soll man auch eine Nadel im Heuhaufen finden?«
»Mit einem Magneten, der stark genug ist, Mr Bosney, ist das eine elementare Aufgabe. Versetzen Sie mich in den Besitz der erforderlichen Fakten, und wer weiß, ob wir nicht genau so einen Magneten finden können.«
»Ja, ja. Ich muß Sie um Verzeihung bitten, Gentlemen, aber ich bin in den letzten Stunden auf die Probe gestellt worden, auf eine harte Probe. Also denn, heute nachmittag um halb fünf hatte ich die Geschichte ein letztes Mal durchgelesen und überzeugte mich davon, daß sie druckfertig war. Statt das Manuskript von einem Boten abholen zu lassen, wollte ich es auf meinem Weg ins Theater lieber selbst vorbeibringen. Außerdem wollte ich noch einige letzte Anweisungen für den Druck geben. Mir schwebte eine großzügige Ausstattung des Buches vor, in Gold und Rot. Ich dachte, das wäre angemessen festlich.
Ich legte meine Abendgarderobe an, klemmte das Manuskript unter den Arm und ging auf die Straße, um mir einen Wagen zu rufen. Meine Straße mündet in die Theobald’s Road, Mr Holmes, genau gegenüber von Gray’s Inn. Gewöhnlich ist es nicht schwer, an dieser Durchgangsstraße eine Mietkutsche zu finden. Zu meiner Überraschung aber stand bereits eine Droschke direkt vor meinem Haus. Ich rief dem Kutscher die Frage zu, ob er aufjemanden warte. Er schien überrascht, entgegnete jedoch, daß dem nicht so sei. Ich öffnete die Tür, legte das Manuskript auf den Sitz und wollte eben hineinsteigen, als ich bemerkte, daß der Sitz bereits besetzt war. Mr Holmes, ich bin kein Mensch, der zum Phantasieren neigt, aber der Anblick der Gestalt, die in der Ecke jener Droschke saß, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren! Ein totenblasses Antlitz, mit glasig stieren Augen. Es schaudert mich, wenn ich daran denke.«
»Erinnern Sie sich, wie die Gestalt gekleidet war?« fragte Holmes scharf.
»Das tue ich allerdings, es war höchst auffallend. Ich entsinne mich eines mehrlagigen Reisemantels, der bis zum Hals zugeknöpft war, einer Melone und eines Wollschals. Diese fremdartige Erscheinung mit ihren unmenschlich gebleichten und geisterhaften Zügen hatte etwas so Ungereimtes, daß ich unwillkürlich mit einem Schrei zurücktaumelte. Kaum hatte ich das getan, peitschte der Kutscher sein Pferd mit einem Ruf an, ratterte die Straße hinab und verschwand im Nebel.«
»Tatsächlich?« sagte Holmes und rieb seine Hände aneinander. »Höchst fesselnd. Fahren Sie fort, Mr Bosney, ich bitte Sie.«
»Ich muß zugeben, Mr Holmes, daß ich zunächst erleichtert war, daß das Gesicht so schnell entflohen war. Ich stand zitternd auf dem Gehsteig und fragte mich, was ein so schrecklicher Anblick zu bedeuten habe. Vielleicht hatte ich es mir eingebildet, vielleicht befand ich mich noch in den Klauen des Fiebers der Phantasie, in dem ich meine Geschichte beendet hatte. Aber dann erinnerte ich mich, daß mein Manuskript noch auf dem Sitz der verschwundenen Droschke lag, und ich wurde vor Entsetzen fast wahnsinnig. Ich rannte hinab zur Theobald’s Road und starrte um mich. Einspänner und Broughams und Hansoms rattertendort dutzendweise in beide Richtungen. Aber welches meine Kutsche war, konnte ich nicht sagen. Ich habe meine Diener zu den Droschkenfirmen geschickt und für die Rückgabe des unversehrten Manuskripts große Belohnungen in Aussicht gestellt, Mr Holmes, bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Ich bin mit meinem Latein am Ende!«
»Ein reizvolles Geheimnis«, sagte Holmes und blickte versonnen zur Decke empor. »Können Sie mir wohl den Kutscher beschreiben?«
»Das kann ich nicht, Mr Holmes!« seufzte der
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