Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
zu öffnen, und dem Bosney einige Pennys zuwarf.
Mein Herz sank, als ich die Verkehrsflut betrachtete, die an uns vorbeiwogte und die Gray’s Inn Road überquerte. Wie konnte Holmes hoffen, in einem so riesigen Durcheinander der Menschheit ein verlorenes Papierbündel wiederzuerlangen?
Wie immer, wenn Sherlock Holmes mit einem Fall beschäftigt war, wich seine beschauliche Mattigkeit einer außerordentlichen Energie, und sein Auftreten bekam den intensiven Ausdruck eines von der Leine gelassenen Windhundes.
»Das da unten ist Ihre Straße, nehme ich an?« fragte er unseren Begleiter. »John’s Street heißt sie, glaube ich.«
»Ganz genau, ich bewohne eines der Häuser weiter unten, wo sie den Namen ändert, bevor sie in die Guildford Street mündet«, erwiderte Mr Bosney und versuchte mit Holmes Schritt zu halten, der die gutbeleuchtete Durchgangsstraße hinabeilte. »Da wären wir; erlauben Sie mir bitte, Sie zu einem belebenden Glühwein einzuladen.«
»Nein danke. Vielleicht später. Also, die Droschke stand hier, wie ich sehe? Ganz recht. Heute nachmittag hat es nicht geregnet, das ist gut.«
Holmes holte seine Lupe hervor, ließ sich auf alle viere nieder und fing an, über den Erdboden vor Culliford Bosneys Haus zu krabbeln. Da ich mit Sherlock Holmes und seinen Methoden so gut vertraut war, konnten mich die Genauigkeit seiner Untersuchung und die animalische Energie, mit der er sie durchführte, nicht besonders überraschen, aber der Romancier sah mit ehrlicher Verblüffung zu, wie Holmes unter fröhlicher Mißachtung seiner Hosenknie durch den Dreck der Gosse kroch, hier winzige Gegenstände in einen aus einer Innentasche gezogenen Briefumschlag steckte, dort unsichtbare Spuren auf dem Boden mit einem Band vermaß.
Endlich erhob Holmes sich wieder. »Also, Mr Bosney, dieses Haus hier, das an Ihres grenzt, gehört das dem Colonel aus Indien oder den Medizinstudenten?«
»Den Studenten. Das Haus da drüben mit den zugezogenen Vorhängen gehört Colonel Harker.«
»Das dachte ich mir. Wir müssen uns beeilen, wenn wirIhr Manuskript zurückerlangen wollen. Ich denke, ich werde jetzt ins Haus gehen.«
Ich folgte Mr Bosney zu seiner Haustür, sah jedoch, als ich mich umdrehte, zu meiner Überraschung, daß Holmes durch den Vorgarten des Nachbarhauses schritt.
»Aber Holmes!« rief ich, »dies ist das Haus.«
»Im Gegenteil, Watson. Sie sind doch Medizinstudent gewesen, Ihnen sollte klar sein, daß
dies
das Haus ist.« Indem er das sagte, zog er an der Türglocke. »Lesen Sie den Erdboden, Gentlemen, er ist die Haut des großen Organismus, über den wir uns unterhielten, und trägt Spuren von Gefechten, die manch eine absonderliche Geschichte bezeugen können.« Die Tür öffnete sich, und ein Dienstmädchen ließ Holmes eintreten.
»Nun!« sagte Mr Bosney. »Höchst außergewöhnlich! Was können diese Studenten mit der Angelegenheit zu tun haben?«
»Ich glaube, wir sollten abwarten«, sagte ich, »Holmes begeht sehr selten einen Fehler. Wenn er glaubt, daß sie mit dem Geheimnis in Verbindung stehen, dann können Sie sich darauf verlassen, daß das stimmt. Kommen Sie, sehen wir uns den Boden an und schauen wir, ob wir nicht seinen Gedanken folgen können.«
Mit Hilfe einer Lupe, die Mr Bosney aus dem Haus geholt hatte, verbrachten wir beide eine fruchtlose Viertelstunde mit der Untersuchung des Straßendrecks. Welcher Code dort auch abgedruckt sein mochte, er war zu kryptisch, um von uns dechiffriert werden zu können, und wir stiegen just die Stufen zu Mr Bosneys Haus empor, um einen heißen Pharisäer zu uns zu nehmen, als nebenan die Tür aufging und ein junger Mann herausschoß, sich einen Hut auf den Kopf drückte und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Straße hinabrannte. Einige Augenblicke später folgte ihm Sherlock Holmes, der die sichentfernende Figur mit wohlwollendem Amusement beäugte.
»Ein elementares Problem, Mr Bosney. Angemessen frivol für diese Jahreszeit. Wenn Sie so gut wären, uns zur Baker Street zurückzubegleiten, glaube ich, ein wenig Licht in diese Angelegenheit bringen zu können.«
»Aber … aber, Mr Holmes!« rief der andere. »Das Manuskript! Wollen Sie sagen, Sie haben es gefunden?«
»Sofern wir nicht großes Pech haben, sollten wir es innerhalb der nächsten Stunde in Händen halten können.«
***
Während unserer Heimfahrt gewährte uns Holmes nicht eine weitere Silbe, von der Bemerkung abgesehen, wären alle Fälle so einfach wie dieser,
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