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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Geld zu verschenken, wie es zu entwenden. Hier haben wir die ›Evening News‹. Welche abscheulichen Morde oder gewagten Diebstähle können hier auf unser Interesse rechnen? Eine Entgleisung bei Lewisham fordert eine Verletzte, jemand hat eine Statue am Charing Cross gestohlen, in Hoxton ist ein Pferd durchgegangen. Ich verzweifle, Watson. Ich wünschte, diese widerliche Zeit guten Willens und Friedens fände ein Ende, so wahr ich hier stehe.«
    »Holmes, ich werde diesen Angriff auf das Weihnachtsfest nicht zulassen! Sie wissen ganz genau, daß –«
    Aber meine Zurechtweisung wurde vom schrillen Klingeln der Glocke im Parterre unterbrochen.
    »Ah«, sagte Holmes, »Ihre Moralpredigt bleibt mir erspart.Vielleicht hat sich jemand in der Hausnummer geirrt, vielleicht ist es auch ein Klient. Solch ausgefallenes Glockenspiel bekundet in jedem Fall Dringlichkeit. Nun, Billy?«
    Unser rechtschaffener Hausbursche hatte das Zimmer betreten, aber bevor er Zeit fand, eine förmliche Anmeldung vorzubringen, brach wie ein Wirbelsturm der erregteste Mann herein, den ich wohl je erblickt habe.
    »Mr Sherlock Holmes? Wer von Ihnen ist Mr Holmes?« keuchte die unglückliche Kreatur und sah wild zwischen uns beiden hin und her.
    »Ich bin es«, sagte Holmes, »und das ist mein Freund Dr Watson. Falls Sie sich zu setzen geruhen, wird er Ihnen ein Glas Brandy bringen.«
    »Danke, ein kleiner Brandy, ja, gut. Das wäre äußerst … wirklich, Mr Holmes, vergeben Sie mir, ich neige sonst nicht … danke, sehr aufmerksam, kein Soda bitte! Ohne alles! Lassen Sie mich Atem holen … herrliche Zimmer, äußerst behaglich. Entzückender Ilex … so festlich. Meinen Glückwunsch. Ah! Das ist schon besser, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Herr Doktor.«
    Trotz der mitleiderregenden Trübsal des Mannes konnte ich mir ein Lächeln ob dieses zwitschernden und belanglosen Monologs nicht verkneifen. Ich hatte erlebt, wie bei Verwundeten der physische Schmerz derlei Geschwätzigkeit und Delirium herbeiführen kann, und wußte, daß dies auch ein gewöhnliches Merkmal seelischer Unruhe ist.
    Sherlock Holmes saß in seinen Lehnsessel versunken, legte die Fingerspitzen aneinander und ließ sein kundiges Auge über den außergewöhnlichen Gentleman ihm gegenüber gleiten. Unser Besucher trug modische Abendgarderobe, aber ich konnte ihn mir nicht recht auf gesellschaftlichem Parkett vorstellen. Wohlstand glänzte in seinem seiden schimmernden Hemd und den handgefertigtenStiefeln, auch wenn auf diesen frische Schlammspuren zu erkennen waren, aber in seinen durchdringenden blauen Augen funkelte eine zu lebhafte Intelligenz, um anzunehmen, er gebrauche etwas anderes als seinen Verstand zum Broterwerb. Sein schmales Gesicht schien in den seltenen Augenblicken der Entspannung einen melancholischen Ausdruck zu tragen, wenn es sich aber belebte, zitterten seine Züge geradezu vor Erregung, ein drahtiger Bart wedelte und zuckte im Takt seiner Rede, und die wilden, zerfahrenen Locken auf seinem Haupte wurden wie im Sturm hin und her geschleudert.
    »Ein ausgezeichneter Brandy … oje, oje, oje. Was soll ich bloß
tun
, Mr Holmes?«
    »Nun, sobald Sie wieder bei Atem sind, sollten Sie uns am besten Ihr Problem darlegen«, sagte Holmes. »An einem Abend wie diesem die ganze Strecke mindestens von Gray’s Inn bis zur Baker Street zurückgelegt zu haben, würde jedermann über Gebühr beanspruchen.«
    Unser Besucher zuckte sichtbar zusammen. »Aber wie beim Himmel? Ojemine, das ist wirklich kolossal! Ich bin in der Tat die ganze Strecke von Gray’s Inn her gelaufen, doch wie Sie das wissen können, ist mir unerklärlich.«
    »Mein lieber Herr, das liegt doch auf der Hand. Daß Sie gelaufen sind, könnte allein infolge Ihrer Atemlosigkeit jedes Kind sagen. Die Spritzspuren auf Ihren Stiefelspitzen können auf keine andere Weise entstanden sein.«
    »Nun«, gluckste der andere, einen Augenblick lang abgelenkt vom eigentlichen Grund seiner Unruhe, »
das
sehe ich, aber wie, zum Kuckuck, können Sie Gray’s Inn von meinem Äußeren ablesen?«
    »Ich bin heute morgen dort gewesen«, erwiderte Holmes. »Das eiserne Gitter, welches die Nordseite vom Trottoir abgrenzt, wird gerade frisch gestrichen. Die Pfähle selbst werden schwarz gestrichen, die Spitzen indes vergoldet, und inIhrer Eile sind Sie mit dem linken Arm über die nasse Farbe gestrichen. Sehen Sie, auf Ihrem Ärmel, Schwarz mit einem Klecks Gold gekrönt. Es ist wohl möglich, daß heute irgendwo in

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