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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Schlachthöfen. Ich wünschte mir
jetzt doch ein wenig Mozart.
    »Ein gemütliches Teekränzchen, wie ich sehe.« Er sprach sachlich
und ohne den geringsten Anflug von Akzent. Als Boxer und Augenbraue sich vor
ihm buckelnd entschuldigen wollten, raffte ich mich auf. »Ist doch viel
unverdächtiger so. Ein bisschen Tee und Musik und das alles fällt viel weniger
auf. In diesem Haus spitzen viele ihre Ohren.«
    »Sie bekommen noch genug Gelegenheit, um zu reden. Besser, Sie
warten, bis Sie gefragt werden.« Während er das sagte, grinste Augenbraue
pervers. Offenbar konnte er es nicht mehr abwarten, von der Leine gelassen zu
werden. Er wirkte in Gegenwart seines Meisters wie ein Pitbull, missgestaltet,
hässlich und scharf.
    Der Boss gab ein paar leise Anweisungen, die ich nicht verstehen
konnte. Dann stellten sich die beiden von Ikea neben die Wohnungstür, Boxer und
Augenbraue hinter ihren Chef und der setzte sich mir gegenüber. Er schenkte
sich gelassen eine Schale voll, leerte sie mit einem anmutigen Schlenker seines
Handgelenks und fixierte mich.
    »Wir haben Interessen in Wien. Es kann nicht sein, dass irgendein
dahergelaufener Wicht da mitschneiden will. Verstehen Sie das?«
    Ich sah ihn einfach weiter an. Er ließ seinen
Blick durch die Wohnung wandern. »In was für einem Loch Sie wohnen.« Er
schüttelte angewidert den Kopf. »Spielen Sie Schach?«
    »An guten Tagen ein bisschen.«
    »Dann wissen Sie sicherlich auch, dass man
für sein Ziel Figuren opfert. Wenn das Ziel wichtig genug ist, gibt es nichts,
was man dafür nicht tun würde. Stimmen Sie mir zu?«
    Ich wurde gefragt, also durfte ich antworten.
Die letzten Minuten hatte ich damit verbracht, nicht vor Angst zu sterben. Mein
Hemd war durchgeschwitzt und ich hoffte nur, dass man den Angstschweiß nicht
bis zu ihm riechen konnte. Denn von der Gestik her hatte ich mich bis jetzt
einwandfrei gehalten.
    »Nicht ohne Vorbehalt.« Ich gab ihm Zeit, um etwas einzuwerfen,
aber er blieb still, deswegen sprach ich weiter. »Man riskiert nicht den
Ausgang eines Spiels wegen eines Bauern.« Meine Stimme klang hohl und brüchig.
    »Wenn Sie ein Bauer sind, stimmt das in der Tat. Aber manchmal
stehen auch Bauern so wichtig, dass sie es wert sind, ein Risiko einzugehen.«
    So hört sich also ein Todesurteil an, schoss es mir durch den
Kopf. Diesen Gedanken verdrängte ich aber so schnell und gut, wie es nur
irgendwie gehen mochte. Er würde sicher nicht bei einem Mord dabei sein und
wenn, dann schon gar nicht in so einer Gegend, in einem Wohnhaus, wo es
Dutzende Zeugen geben würde. Mein Argument war gut, beruhigte mich aber nur
wenig.
    »Lassen wir das, Sie werden nicht extra aus Russland eingeflogen
sein, um mit mir über Schach zu sprechen. Fragen Sie, ich werde antworten.«
    Er gab Boxer einen Wink, der bewegte sich geschmeidig einen
Schritt nach vorn, bis an die Tischkante, ließ die rechte Schulter ein wenig
sinken und beschrieb mit seiner Hand einen perfekten Bogen. In der Luft ballte
sich die Hand zur Faust. Auch Muhammed Ali hätte dem Schwinger nicht ausweichen
können. Zwischen dem Nicken des Chefs, über die Schlagauslösung bis hin zum
Treffer hätte nicht der Lidschlag einer Libelle gepasst, wie Siggi Bergmann es
formuliert hat. Irgendwie konnte ich noch meine Nackenmuskeln spannen, als mich
die Faust des Boxers wie ein Hammer traf. Genau in die Beuge zwischen Hals und
Schlüsselbein. Kurz darauf war alles schwarz.
    Als die Lichter wieder angingen, litt ich wie
ein Hund. Das Zentrum der Lehre des Buddha ist, dass Leiden nur eine Täuschung
darstellt, und Schmerzen als Teil des Leidens somit auch nicht wirklich,
sondern nur ein wesenloser Traum sind. Für diese Lehre spricht einiges, die
Argumente meines Körpers hingegen, der hartnäckig darauf bestand, den Schmerz
ernst zu nehmen, legten laut vernehmlich Widerspruch dagegen ein. Mein Mund war
voller Blut, irgendwo hatte ich hineingebissen, bis sich die Zähne berührten
und ich hoffte mit ganzer Seele, dass ich mir nicht die Zunge abgebissen hatte.
Ich spuckte das Blut auf meinen Teppich, der sich nur ein paar Zentimeter vor
meinem Gesicht befand. Irgendwie war ich wohl von der Couch auf den Boden
gerollt. Als ich meinen Kopf aus dem blutnassen Gemisch heben wollte, ging das
nicht. Meine ganze linke Seite war gefühllos. Nein, sie war taub, besser
gesagt, tot. Ich war mir nicht mehr sicher, ob dort überhaupt noch etwas war.
Es fühlte sich an, als

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