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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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nie mit aufgetaucht. Das war keine Hinrichtung, sondern eine
Demonstration. Sie wollten Eindruck schinden.
    »Wenn wir hier schon rumsitzen, hol ich mir meinen Tee und leg
einen Sound auf. Was wollt ihr hören?« Bei diesen Worten stand ich betont ruhig
auf. Augenbraue brachte die silberne Pistole mit einer flüssigen Bewegung aus
der Schonhaltung, in der er sich befunden hatte, in Anschlag. Der Boxer hatte
sich erhoben, was so geschmeidig ausgesehen hatte, als ob Wasser aufwärts
flösse. »Nix da, setzen.«
    »Spokoistwie«, sagte ich in meinem Pidginrussisch, in dem nur
Nennformen und Infinitive vorkommen, und ging Richtung Kochnische. Ich wartete
auf eine raue Berührung oder einen Schlag, aber es kam nichts. Nicht mal ein
lautes Wort.
    In der Kochnische holte ich meine Teekanne und drei Schalen und
stellte alles auf den Tisch. Die Teekanne, in der ich meinen Alltagstee mache,
ist eine monochrome Jameson & Tailor,
1,8 Liter. Früher hatte ich eine schwarze gehabt, heute eine hellbraune. Ich
verteilte die Rauchglasschalen, schenkte meine voll. »Tschai, poschalista.«
    Dann drehte ich ihnen meinen Rücken zu und überlegte mir, was ich
hören wollte. Ich nippte am Sencha und wartete einen Augenblick. Hinter mir
blieb alles ruhig, das war gut. Ich hörte, wie die beiden sich einschenkten.
Ich kramte die ›Complete in a silent way‹-Sessions raus, ein samtener, ruhiger
Sound. Sicher nicht Miles’ größte Aufnahmen, aber vielleicht die gemütlichsten.
Ich wählte die zweite der drei CDs, die, auf der John McLaughlin zum ersten Mal
dazukommt. Ich drückte auf Play und Joe Zawinuls Klanggedicht ›Ascent‹ erfüllte
den Raum, schmeichelnd und ein wenig unfokussiert.
    Die Wahl war ein Zeichen für meinen Optimismus, denn zum Sterben
hätte ich mir was anderes aus dem Plattenregal geholt. Sterben kann man nur zu
Mozart. Oder vielleicht noch zu ›You can’t always get what you want‹, in
Notfällen.
     

IX
    Es
dauerte doch etwas länger, bis der Chef vorbeikam. Wir waren gerade über die
beiden härteren Aufnahmen von ›Directions‹ hinweggekommen und befanden uns
mitten in ›Shhh Peaceful‹, als Boxers Handy klingelte. Er stellte seine
Teetasse ab und nahm das Gespräch an. Ein leises, gutturales »Da« drang aus
seinem Mund und er ging die Tür öffnen. Augenbraue hielt mir immer noch die
Knarre hin. Ich drosselte die Lautstärke von Miles auf einen ganz leisen
Hintergrund, wie im Frühstückssaal eines wirklich guten Hotels.
    Den beiden hatte der Tee geschmeckt. Ich hatte
ihnen daraufhin noch einen starken Schwarzen aufgesetzt, den sie mit viel
Zucker schmatzend tranken. Persönlich mache ich mir nichts aus Zucker im Tee,
darum trank ich meinen ohne und genoss die herrlichen Aromen. Bis jetzt war
alles gut gegangen. Ich war überaus gespannt, wer da kommen würde.
    Als Boxer an der Tür beiseite trat und drei Männer einließ, gefror
mir das Blut in den Adern. Nicht wegen der zwei Ikeaschränke, sondern wegen dem
Mann im Kamelhaarmantel, unter dem er einen blauvioletten Designeranzug mit
passendem Hemd und Krawatte trug.
    Als der Mann näherkam, traf es mich wie ein
Schlag. Vor Angst krampfte sich mir der Magen zusammen und ich musste an allem
reißen, was ich hatte, um nicht durchzudrehen.
    Einen von seinem Schlag hatte ich schon einmal
getroffen. Vor Jahren war ich mit einem Freund im Altai unterwegs gewesen. Dort
waren wir dem Sicherheitschef in die Hände gefallen. Und obwohl sie 10.000
Kilometer voneinander getrennt waren, war es offensichtlich, dass der
Sicherheitsmann von damals und mein nächtlicher Besucher von heute dieselbe
Kinderstube genossen hatten. Früher mal hatte sie NKWD geheißen, später
SMERSCH, dann KGB, wie sie   sich heute
nennt, weiß ich nicht, will ich auch gar nicht wissen. Wer weiß, was auf dem
Tor zur Hölle steht, ist schon mit einem Bein drin.
    Auf jeden Fall war der Mann gefährlich. Wirklich gefährlich. Das
Knacken von brechenden Oberschenkelknochen klingt in seinen Ohren wie für einen
durchschnittlichen Menschen das verheißungsvolle Knistern einer Chipspackung.
Einer, der auch dann noch lächeln kann, wenn ihm der Oberarm gebrochen von der
Schulter baumelt.
    Seine Augen waren von einem klaren Blau, die Haare kurz und
graumeliert. Er musterte mich mit dem unpersönlichen Interesse eines Metzgers
an einem frischen Stück Fleisch. Ich weiß, wovon ich spreche, schließlich
arbeite ich im Sommer bei den Inzersdorfer

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