Papierkrieg
geschlossen hatte, hob ich den Butterfly auf, den er liegen
gelassen hatte. War ein schönes Stück Stahl, lag gut in der Hand und war so
scharf, dass sich einem die Härchen auf dem Handrücken aufstellten. Es war doch
noch ein guter Tag geworden.
Ich schüttete den kalten Tee fort und setzte neues Wasser auf. Als
es kochte, holte ich meine gusseiserne Arare heraus. Diese Kannen werden in
Japan handgefertigt. Ähnlich wie die Nanbu-Tekkis aus der Präfektur Iwate sind
sie, um den Tee lange warmhalten zu können, aus Eisen gegossen, von innen
emailliert und für ihre Größe sehr schwer.
Nach dem Gießen von 1,5 Litern Flüssigeisen
werden die inneren und äußeren Gussformen zerbrochen und die Kannen ausgelöst.
Die unebenen Kanten werden geschliffen, die Innenseiten emailliert, und die
Außenseiten gestrichen. Nach eingehender Qualitätskontrolle treten sie den
langen Weg nach Europa an. Es sind die Kannen der japanischen Teezeremonie.
Meine war ein Erinnerungsstück an bessere Zeiten, als das Geld noch nicht so
knapp gewesen war. Die Zeit seit damals schien sich nicht in Jahren messen zu
lassen.
Als das Wasser kochte, wusch ich die Kanne aus, gab den Tee hinein
und goss auf. Dann stellte ich meine Arare auf das Tischchen, rückte es vor
mein Fenster und holte meine Decke. Ich öffnete das Fenster.
Im Innenhof wuchs eine Kastanie. Im Frühling, wenn sie die Kerzen
ihrer Blüte trägt, übertönt sie den Stadtgeruch. Im Sommer kühlt sie, und wenn
der Wind durch ihre Blätter rauscht, hört man die Autos auf der Straße kein
bisschen. Jetzt trug sie noch kein Grün, nur ein paar zarte Knospen waren zu
sehen. Aber ihre majestätische Gestalt dominierte trotzdem den Blick aus meinem
Fenster. Es war draußen noch dunkel, es regnete leicht und der Wind blies
kalte, frische Luft zu mir herein.
Ich holte mir die Lester-Young-Aufnahme mit Nat King Cole und
Buddie Rich aus dem Jahr 1946 heraus. Ich besaß die Vinylversion aus den 60ern,
legte die Platte auf und kuschelte mich in die Decke auf dem Stuhl. Während wir
den heißen Tee in kleinen Schlucken tranken, warteten Lester, Nat und ich auf
den Sonnenaufgang.
Kapitel 4
I
Irgendwann,
bei der zweiten Version von ›I cover the waterfront‹, war ich eingeschlafen.
Noch bevor Lesters Sax in die ersten zarten Takte von Coles Solo übergeht. Dort
im Land des Jazz war alles schön, hier in der realen Welt wohnte der Schmerz.
Ich fühlte mich wie ein 90-jähriger Greis, der einen 10-Stunden-Viagraritt
hinter sich hat.
Draußen war es hell, es hatte aufgehört zu regnen. Dafür war, was
selten ist für Wien in dieser Jahreszeit, der Nebel eingefallen. Und mit dem
Nebel war die Nässe hereingekommen. Die Decke war klamm und mir war kalt.
Ich schloss das Fenster, quälte mich ins Bad,
das eigentlich nur eine Ecke meiner Küche ist, zog mir die verdreckten und
vollgebluteten Klamotten aus und stellte mich unter das kochend heiße Wasser.
Zehn Minuten später war ich wieder ein Mensch, zwar ein schwer ramponierter,
aber ein Mensch. Nachdem ich mich rasiert hatte, packte ich meine Sachen
zusammen, zog mir etwas an und stieg die Treppen hinauf zu Mike. Der war immer
schon früh wach, denn der Hunger nach Alkohol trieb ihn stets im Morgengrauen
aus den Federn.
Ich klopfte an seiner Tür, von drinnen kam
ein »Is eh offn« und ich trat ein. Mike saß vor seinem Wohnzimmertisch. Auf
diesem herrschte ein Durcheinander aus Aschenbechern, Bierdosen und
Essensresten. Vor sich hatte Mike einen Spiegel liegen, eine schöne alte
Apothekenwaage und Zubehör. Er blickte kurz von seiner Arbeit auf und staunte
mich an. Dann wandte er sich wieder seiner Beschäftigung zu, die darin bestand,
Schnee in kleine mintgrün und rosa glänzende Briefchen zu packen.
»Du? Schaust aber gar nicht gut aus. Ein Bier oder einen Kaffee?«
Er wies mit einer Hand auf die Kanne, die neben ihm auf dem Boden stand. Ich
holte mir in der kleinen Küche eine der saubereren Tassen und schenkte mir ein.
»Was wird das, wenn’s fertig ist? Sieht ja ziemlich professionell
aus.«
Ich wusste, dass Mike nebenbei in kleinem Maße dealte.
Hauptsächlich für seine Mäderln. Mittlerweile schien er aber größer
eingestiegen zu sein.
»Ist für ein paar Mädchen, die wollen das so. Soll trendy sein.«
»Mikes Designerkokstäschchen, heute für 10,95.«
»So in etwa. Ist eine furchtbare Kletzlerei.«
»Für deine Mädchen?«
»Nein, die sind nicht
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