Papilio Mariposa
als er in dem vornehm-ruhigen Gartenviertel
angelangt war und nun Einlaß begehrend vor der
Villa des Dichters stand, da überkam unsern Adepten
ein gelindes Bangen, ob er die Probe wohl bestehen
werde. War’s das Gefühl der Unzulänglichkeit, das jeden
Prüfling vor der Prüfung überfällt, war es der sinnfällige
Eindruck dichterischen Ruhms, den dieses
prächtige Haus vor ihm, erbaut aus den Erträgnissen
der Kunst, gleichsam verkörperte — kurzum, er wagte
nicht, den Druckknopf an der Klingel zu berühren.
Wozu das Schicksal auf die Probe stellen? War’s nicht
zumindest besser, noch zu warten und dann mit einem
Großen, Ganzen vor ihn hinzutreten? War’s nicht sein
sicheres, unwiderrufliches Todesurteil, wenn er auch
heute hier verworfen würde? Aber nein — war das denn
möglich?
Er drückte auf den Knopf — nun hatte er die Brücken
hinter sich verbrannt.
Der Raum, in dem er warten mußte, schien ihm, der
den bescheidenen Prunk kleinbürgerlicher Stuben gewohnt
war, wie das Arbeitszimmer eines Fürsten. Und
doch war es mehr — das fühlte er — als derlei ererbte,gedankenlose Pracht. Denn jede dieser hundert Kostbarkeiten
— mochte es nun ein Falzbein sein, ein Briefbeschwerer,
eine Vase oder sonst ein zierliches Figürchen
— jede sprach von dem Besitzer. Das eine hatte er
vielleicht auf einer fernen Reise nach sorgfältiger Wahl
erstanden, das andere schien die Huldigung eines Verehrers,
das dritte war wohl ein Geschenk von lieber
Hand. Über all dem lag ein Hauch von kunstreich-ruhevoller
Sammlung und Betrachtung. Und durch die
breiten Fenster leuchteten die sanften Linien der
Berge.
Mit heißer Kraft durchloderte es Mario: Lieben, um
zu schaffen, schaffen, um solche Macht und Pracht zu
erringen!
Achenbach war eingetreten. Er hatte Mario zunächst
nicht wiedererkannt — wie dies kein Wunder war bei
der großen Menge von Besuchern, die er empfing —,
und dieser mußte ihn mit kurzen Worten an die Begegnung
in den Auen erinnern. Nun fragte er nach seinem
Manuskript; war es umfangreich, so möge er es hinterlassen,
war’s kurz, so könne er es sogleich vorlesen.
Mario begann zu lesen, die Stimme stockend, fast
versagend; war’s doch sein Innerstes, das er enthüllte,
sein eigenster verzweiflungsvoller Kampf; war’s doch
sein künftiges Geschick, um das er lesend warb.
Achenbach hörte zu, das Haupt tief auf die Hand
gestützt, um durch den Blick die Scheu des Lesenden
nicht zu vermehren; in lächelnder Ergriffenheit, das
alte Lied, das junge Leid, das er der Jugend heimlich
neidete, wieder zu vernehmen. Wie war’s doch köstlich,
von solch einsam sicherer Höhe die Leidenschaften anderer
zu betrachten!
Und Mario las, indes die Abenddämmerung sich leise
niedersenkte: »Verachtet mir die Liebe nicht — wie
auch ich alter Mann sie nicht verachte. Die Liebeslieder
Siebzehnjähriger — ihr lächelt über sie. Ich aber
sage euch: Ehrfurcht auch vor dieser Liebe; denn sie ist
es, auf welche Gott mit größtem Wohlgefallen blickt.
Die Liebe offenbart, zu welchem Ziel den Liebenden
die Vorsehung erkor. Der Vogel singt nur, wenn er
liebt, denn würdig will er sich erzeigen. So auch der
Mensch: Er singt das Lied, das ihn die Vorsehung hat
singen heißen. Vielfältig ist das Lied, so vielfach Menschenkunst
und Menschenwissenschaft.
Darum: Ist einer darnach angetan, daß er die Sterne
soll erforschen, sicherlich wird er, wenn er liebt, dies
mit erhöhtem Eifer tun; gilt’s doch, zu zeigen, was er
kann! Und ist es einem von der Schöpfung ins Gehirn
gelegt, daß er ein großer Brückenbauer wird, er wird
kühn’re Pläne denken, wenn er liebt.
Doch was macht die große Menge derer, die von der
Natur keinen Auftrag haben oder die sich ihrer künftigen
Sendung noch nicht bewußt sind? Auch sie müssen
einen Schlüssel ihrer Seele suchen. Und da es
nichts gibt, das ihnen ihr Leid eher erleichtern würde,
nichts, das schneller in die Unendlichkeit führte — so
dichten sie. Daher die vielen Gedichte.
Auch ich war einer der vielen ohne Sendung. Auch
ich dichtete, und das kam so: Ich hatte mich wundgesucht
nach dem Glück, und so beschloß ich, es bei der
gangbarsten Gelegenheit zu erhaschen, beim Tanze. So
ging ich eines Abends wiederum zum Tanze.
Ich kam aus einer jener weltschmerzlichen Stimmungen,
wie wir sie mit siebzehn so häufig erleben, wo
wir Vulkane in uns fühlen, wo wir uns groß dünkenund bereit sind, alles zu bejahen oder alles zu verneinen,
und die wir doch nicht mit einem
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