Papilio Mariposa
zu zeigen,
die Welt, die ich geschaffen . . .
Aber nein, zum Märchenprinzen fehlen mir zwei
volle Zoll.
Fräulein, Sie haben mir das größte Übel angetan, Sie
haben mir befohlen, aus dem Leben zu gehen. Und
ich, ich flehe allen Segen des Himmels und der Erde
auf Sie herab.
Abend war’s geworden und Zeit zu gehen.
Ich wollte feierlich Abschied nehmen, und so schlich
ich mich in einen Konzertsaal.
Noch einmal Fest, Freude und Kunst. Die vielen
schöngeschmückten Menschen, freudiger Erwartung
voll. Ein Beethoven-Konzert.
Ach, das war ein Mann! Der hatte das Leben erobert!
Der bezwang es mit Trompetenstößen, und vor
dem Schwalle seiner Geigen duckt sich der Unhold
Notwendigkeit.
Und nun beginnt’s. Die Fünfte Symphonie. Die
Schicksalssymphonie. Jawohl, meine Schicksalssymphonie.
Vier Schläge! Himmel und Erde standen offen. Erschüttert
horchte ich. Ach, das waren die Schläge des
Hammers, der Prometheus an den Felsen schmiedete,
des Hammers Schläge, die Christus ans Kreuz hefteten.
Mir war’s, als faßte mich eine Riesenhand und trüge
mich fort, so daß ich alle Schönheit des Himmels und
die unverständliche Qual der Erde sah. Rasend schnell
fort durch alle Tiefen, über alle Höhen, daß mir vor
Schönheit und vor Schrecken schier die Sinne vergingen.
Mein Herz jauchzte und blutete.
Aber nur nicht den Schluß, den jubelnden klaren
Schluß. Den Schluß will ich mir schon selbst dazu machen.
Und ich stürzte hinaus. Aufrecht ging ich. Was war’sdoch eine Lust, zu sterben, wenn Beethoven einem den
Todesmarsch sang. Und ich summte und pfiff vor
mich hin.
Aber die Melodien wurden verworren, die Klarheit
wich, und mahnend kam die Qual. Diese Öde, die
dunklen Straßen. Nur störende, widrige Menschen.
Keine Schönheit, keine Güte, nichts, das den Scheidenden
noch trösten könnte. Ich hörte Melodien, die
ich nicht behielt, ich stammelte Worte, die keinen Sinn
gaben. Endlich träge, traurige Träumerei.
Ich setze mich zu rasten, denn es war noch weit hinaus
zum Fluß, und ich war so todmüde. Und ich begann
zu weinen, leise, hoffnungslos wie ein verirrtes
Kind. Ach, es ist doch etwas Bittres, wenn ein Kind
sich töten will! Und ich weinte mich in den Schlaf.
Die verworrenen Melodien kehren wieder, aber sie
steigern sich, sie werden wieder klar. Ein seltsames
Land sah ich. In dichten Scharen Gestalten, deren
Antlitz nicht erkennbar. Doch ein unsäglicher Schimmer
von Licht und Adel strömt von ihnen aus. War’s
das Land des Todes?
Weit weg ist etwas, das könnte die Erde sein, wär’s
nicht so wunder-wunderfern.
Da löst sich von einem Fels mit steilem, starrem
Fluge ein Adler. Und von weiter Ferne kommt ein
Wanderer, des Namen wie ein Brausen auf aller Lippen
schwebt. Er schreitet wie ein König, denn alles
neigt sich vor ihm; er kommt wie ein Heiland, denn aller
Schmerz und aller Liebe strömen ihm entgegen:
Ludwig van Beethoven.
Ich will entfliehen, denn seine Gnade kann mich
nicht erreichen.
Aber, o Wunder, er sieht mich: und welche Wonne,er tritt auf mich zu! Ich sinke auf die Knie, aus meinen
Augen stürzen Tränen.
Doch Ludwig von Beethoven neigt sich zu mir und
spricht: ›Mein Kind, weine nicht, denn ich leide mit
dir.‹
Wie meine Stirne brennt, wie sie der Regen peitscht.
Aber ich war wach, ich lebte. Und Beethoven hatte mir
das Leben gerettet.«
»Darf ich hoffen«, unterbrach Mario das Schweigen,
»darf ich hoffen . . .?«
»Ein Künstler zu werden?« ergänzte Achenbach lächelnd.
»Mein Kind, das weiß ich nicht. Sie stellen mir
da eine Frage wie jemand, der einem Goldschmied eine
Münze zeigt und fragt: ›Bin ich ein reicher Mann?‹«
»Es kann doch die eine Münze, die er dem Goldschmied
zeigt, so kostbar sein, daß sie allein ihn zum
reichen Manne macht.«
»Dazu ist Ihre Münze zu klein.«
Als er Marios betroffene Miene sah: »Nun, ich
meine, der Goldschmied wird dem Kunden sagen, er
möge ihm alle Münzen bringen, die er besitzt. Darum
sagen Sie mir: Haben Sie außer diesem Kapitel sonst
etwas von Ihrem Romane fertiggestellt?«
Mario verneinte.
»Nun — und Sie sind sich über die Handlung Ihres
Romanes, über seinen Aufbau im klaren? Könnten Sie
mir seinen Inhalt Kapitel für Kapitel erzählen?«
Er fragte es etwa in dem Tone, wie ein Erwachsener
auf die Spiele eines Kindes eingeht.
»Das eigentlich nicht, indes . . .«
Achenbach machte eine halb abbrechende, halb verstehende
Geste.
»Also, um beim Bilde, um bei unserer Münze zu
bleiben.
Weitere Kostenlose Bücher