Papilio Mariposa
neben sich.
Aber ich sollte angenehm enttäuscht werden. Die
beiden waren in ein angelegentliches Gespräch vertieft
und hatten meine Abwesenheit vielleicht gar nicht bemerkt;
zumindest schienen sie meine Anwesenheit
kaum zu merken.
Erst nach einer geraumen Weile — es war eine Gesprächspause
eingetreten — sagte Désirée ganz nebenhin,
ohne auch nur aufzublicken: »Warum hast du
denn deine Gesellschaft« — und sie deutete auf den
Tisch meines Klienten — »schon so bald verlassen?
Dieses Opfer war doch nicht nötig. Du siehst, ich unterhalte
mich mit Herrn Mariposa sehr gut.«
Der Hieb tat gar nicht wehe. Weit größer war die
— Freude, daß die beiden mir so lieben Menschen sich
nun endlich gut vertrugen.
Ich wagte kein Wort des Widerspruchs, sondern tat
das Beste, was ich tun konnte: ich neigte mein Haupt
in reuevoller Demut und schwieg und hörte weiter dem
Gespräch der beiden zu.
Und es verlohnte sich wahrhaftig, zuzuhören. Nicht
weil es so geistreich oder gelehrt, sondern weil es ungeheuer
fesselnd war, zu beobachten, wie sich diese beiden
Menschenkinder, die Verkörperung äußerster Gegensätze,
zueinander einstellten.
Désirée war höflich, ruhig und freundlich. Keine
Spur von der abweisenden Kälte, mit der sie ihn das erstemal
behandelt hatte. Sie, die sonst mit vorschnell
absprechenden Kritiken, mit gehässigen Verallgemeinerungen
sehr rasch bei der Hand war, vermied ängstlich
alle Härten und Schärfen. Nicht etwa bloß ihrem
Partner gegenüber, sondern auch in der Beurteilung
völlig außenstehender Dinge und Menschen. Es war,
als ob sie fürchtete, Mariposa könnte jede abfällige Bemerkung,
mochte sie auch einen ganz fernliegenden
Gegenstand betreffen, irgendwie auf sich beziehen und
sich darüber kränken. Ihre Äußerungen hätten jeder
Redeübung in einer höheren Töchterschule, jedem regierungstreuen
Leitartikler zur Zierde gereicht.
In ihrem Gehaben lag jene respektvoll-behutsame
Vertraulichkeit, wie sie ein wohlerzogener junger Mann
einer lieben alten Dame gegenüber an den Tag legt. Es
fehlte jenes Fluidum der Anziehung und Abwehr, wie
es sonst in den Gesprächen junger Leute verschiedenen
Geschlechts geheimnisvoll spannend mitschwingt.
Mariposas ganzes Wesen war eine Huldigung vor Désirée.Nicht in Worten drückte er sie aus, denn er
wagte auch nicht das schüchternste Kompliment, sondern
in der scheuen Bewunderung durch seine Blicke,
in der mühsam verhaltenen Zärtlichkeit, mit der er
ihrer Rede lauschte.
Und wie er zu erwidern wußte! Sein Gespräch glich
einem Zauberspiegel, der den erschauten Gegenstand
in vielfärbigem Glanze, in vielfältiger Schönheit widerstrahlt.
Was er beantwortete, waren gar nicht Désirées Gedanken,
das war der ungeahnte tiefere Sinn, den er
ihren Worten unterlegte, in seiner Gegenrede bestätigte,
vertiefte und verschönte. Der ungestalte Bücherwurm
erwies sich da mit einem Male als der vollendetste
Charmeur.
Es war wie eine Szene zwischen Hofnarr und Prinzessin,
aus einer ritterlichen spanischen Romanze,
einer schwermütigen schottischen Ballade hierherverzaubert
in diesen wohlig dämmerigen Raum mit seinen
matten Lichtern, seiner sehnsüchtigen Musik. Es war
ein köstliches, einmaliges Erlebnis, das ich mit allen
Sinnen aufnahm, seiner Unwiederbringlichkeit bewußt.
Ich nicht allein. Aus einer Nebenloge hörte ich eine
leise Frauenstimme: »Stoppen Sie jetzt ein wenig und
lassen Sie mich dem Gespräch neben uns zuhören. So
etwas hört man nicht alle Tage.« Dann wurde es daneben
stille, und nach einer kleinen Weile schimmerten
über der Wand, die beide Logen trennte, goldblonde
Locken, und allmählich wurde, leise emportauchend,
ein ganzes Antlitz sichtbar, ein blühend schönes Mädchenangesicht.
Neugierig schüchtern spähte es zu uns
herüber, um zu ergründen, aus wessen Munde die berückendenOrakelsprüche kämen, die da mit wohllautender
Stimme aus der Tiefe tönten. Doch als sie den
Sprecher gewahrte, da erlosch das bewundernde
Leuchten ihrer Augen wie in jähem Entsetzen, und das
Köpfchen verschwand.
Zum Glück sah’s niemand außer mir.
Désirée atmete den Opferweihrauch, den ihr Mariposa
streute, mit ein wenig übertriebenem Wohlgefallen
und vergalt seine Huldigungen mit einem Lächeln,
das mir bisweilen gezwungen schien, und mit Lobsprüchen,
die sie geschmackvollerweise nicht seiner Männlichkeit,
sondern seinem Geist und Wissen spendete.
Mir wurde es immer klarer, daß ihre Liebenswürdigkeit
weit weniger der
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