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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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edles Gemüt. Ich werde auf Zelle siebenunddreißig gehen und dir die gewünschte Antwort bringen.«
    Er war sehr bald wieder da. Dega war einverstanden. Der Pfarrer ließ sein Gebetbuch bis zum nächsten Tag in meiner Zelle liegen.
    Das war ein Sonnenstrahl heute! Die Zelle ist ganz hell davon.
    Wenn es einen Gott gibt, warum läßt er dann zu, daß es auf Erden so verschiedene Menschen gibt? Den Staatsanwalt, die Polypen, Polein, und dann diesen Pfarrer, den Geistlichen der Conciergerie?
    Der Besuch des frommen Mannes hat mir gutgetan und war gleichzeitig ein Vorteil für mich.
    Die Antwort auf die Gesuche hat nicht lange auf sich warten lassen. Eine Woche später stehen wir, sieben Mann hoch, um vier Uhr früh in einer Reihe im Gang der Conciergerie. Auch die Posten sind da. Alles ist vollzählig.
    »Ausziehen!« Alle entkleiden sich langsam. Es ist kalt, ich bekomme eine Gänsehaut.
    »Laßt die Anzüge vor euch liegen. Kehrt! Einen Schritt zurück!«
    Jeder steht vor seinem Bündel.
    Abschätzige, neugierige, auch fachmännische Blicke treffen meinen reich tätowierten Körper. Unterhalb des Adamsapfels trage ich einen Schmetterling, die Illustration meines Spitznamens. Dieser Spitzname, auf dem Montmartre bekannt wie das falsche Geld, bleibt mir, und bald bin ich auch hier für alle – »Papillon«.
    »Anziehen!« Das leichte Hemd, das ich noch kurz zuvor anhatte, wird durch ein grobes, naturfarbenes Leinenhemd ersetzt, mein schöner Anzug durch Kittel und Wollhose. Meine Füße stecken in Holzpantinen.
    Bis dahin hatte man noch den Anblick eines normalen Menschen geboten. Ich sehe mir die übrigen sechs an – schauderhaft! Binnen zwei Minuten hat sich jeder aus einer Persönlichkeit in einen Bagnosträfling verwandelt.
    »Rechts um, in eine Reihe! Vorwärts marsch!« Von zwanzig Posten eskortiert, gelangen wir in den Hof, wo einer nach dem andern in den schmalen Kasten eines Zellenwagens geschoben wird.
    Es geht fort, in die Zentrale, nach Caen.
Die Zentrale in Caen
    Kaum angekommen, verfrachtet man uns in das Büro des Direktors. Er thront auf einem meterhohen Podium hinter einem mächtigen Empiretisch.
    »Habt acht! Der Herr Direktor will mit euch sprechen!«
    »Verurteilte! Ihr befindet euch hier in Gewahrsam, um die Weiterfahrt ins Bagno abzuwarten. Wir sind hier in einem Zuchthaus. Es ist absolute Ruhe zu bewahren, es gibt keine Besuche, keine Post, für niemanden.
    Wer sich nicht beugt, wird gebrochen. Es stehen zwei Ausgänge zur Verfügung. Der eine führt ins Bagno, wenn man sich gut aufführt, der andere auf den Friedhof. Das geringste Vergehen wird mit sechzig Tagen schweren Kerkers bei Wasser und Brot bestraft. Noch keiner hat zwei aufeinanderfolgende Kerkerstrafen überstanden. Verstanden?«
    Er wendet sich an Pierrot, den Narren, der von Spanien ausgeliefert wurde.
    »Was waren Sie von Beruf?«
    »Torero, Herr Direktor.«
    »Abführen!« brüllt der Direktor außer sich. In weniger als zwei Sekunden ist der Torero zu Boden geschlagen, wird von vier oder fünf Posten mit Riemen gepeitscht und rasch fortgeschafft. »Verdammte Sch…«, hören wir ihn schreien. »Fünf gegen einen, und dazu noch mit Riemen, ihr Schweinehunde!« Der Aufschrei eines zu Tode verwundeten Tieres. Dann nichts mehr. Nur noch das schleifende Geräusch auf dem Zementboden.
    Wer nach dieser Szene nicht begreift, wird nie begreifen. Dega steht neben mir. Er rührt nur mit einem Finger an meine Hose. Ich weiß, was er mir sagen will: »Halte dich gut, wenn du lebend ins Bagno kommen willst.« Zehn Minuten später befindet sich jede r (bis auf Pierrot, den Narren, der in einem schändlichen unterirdischen Loch gelandet ist) in einer Zelle des Zuchthauses der Zentrale.
    Das Glück wollte es, daß sich Dega in der Zelle neben mir befindet. Zuvor wurden wir einem Rotschädel von etwa ein Meter neunzig vorgestellt, der in der rechten Hand einen Ochsenziemer hielt. Das ist der Profos, ein Häftling, der auf Befehl der Wärter als Folterknecht dient. Er ist der Schrecken aller Gefangenen. Das hat den Vorteil, daß die Wärter die Sträflinge prügeln und auspeitschen können, ohne selber einen Finger rühren zu müssen, und die Verwaltung ist nicht verantwortlich, falls einer totgeschlagen wird.
    Im Verlauf eines kurzen Aufenthaltes im Krankensaal habe ich die Geschichte dieses Monsters in Menschengestalt erfahren. Wir können den Direktor der Zentrale nur dazu beglückwünschen, sich seinen Henker so geschickt gewählt zu haben.

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