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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Haifischen verdaut. Ich aber, ich bin hier, und wenn ich’s wert bin, komme ich lebend aus diesem Steinsarg heraus.
    Eins, zwei, drei, vier, fünf – kehrt; eins, zwei drei, vier, fünf – wieder kehrt; ich fange an zu gehen und finde mit einem Schlag wieder die alte Haltung des Kopfes, der Arme, die genaue Schrittlänge, um im Gleichmaß zu bleiben. Ich beschließe, nicht mehr als zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Nachmittag zu gehen, solange ich nicht weiß, daß ich mit einer bevorzugten, ausreichenden Ernährung rechnen kann.
    Vergeude nicht deine Energien in diesen ersten Tagen mit nervösen Anwandlungen.
    Ja, es ist jammerschade, vor dem Ziel gescheitert zu sein. Klar, es war nur der erste Teil der Flucht, es hätte noch der geglückten Überwindung von hundertfünfzig Kilometer auf diesem leichten Floß bedurft, und nach der Ankunft auf dem Festland einer neuerlichen Flucht. Wenn das Floß gut aufs Wasser gebracht worden wäre, hätten die Segel aus den drei Mehlsäcken es kaum mehr als zehn Kilometer die Stunde vorwärtsgetrieben. In fünfzehn, vielleicht sogar in zwölf Stunden hätte ich den Fuß aufs Festland gesetzt.
    Selbstverständlich nur, wenn es tagsüber geregnet hätte, denn nur im Regen kann man riskieren, die Segel zu setzen. Ich glaube mich erinnern zu können, daß es an dem Tag, da man mich in die Einzelzelle brachte, regnete, aber ich bin nicht sicher. Ich suche die Fehler zu finden, die ich gemacht habe. Ich finde nur zwei.
    Der Tischler hat ein zu gut gebautes, zu sicheres Floß herstellen wollen, und darum war es nötig, für die Kokosnüsse ein Gerüst zu bauen, das praktisch einem zweiten Floß gleichkam, eines im anderen. Daher waren zu viele Einzelteile und das in zu langer Zeit herzustellen, um alles genau einzupassen.
    Zweitens, und das ist schwerwiegender: Auf den ersten ernsten Verdacht hin hätte ich Gelier noch in derselben Nacht töten müssen. Hätte ich das getan, wer weiß, wie weit ich heute wäre! Selbst wenn man mich auf dem Festland eingefangen oder im Augenblick, da ich das Floß aufs Wasser setzte, festgenommen hätte, so wäre ich mit drei Jahren und nicht mit acht davongekommen. Wo wäre ich heute, wenn alles gutgegangen wäre – auf den Inseln oder auf dem Festland? Überlegen wir mal. Vielleicht würde ich eben ein Gespräch mit Bowen in Trinidad haben oder in Cura9ao unter dem Schutz von Bischof Irenee de Bruyne stehen, und von dort wäre ich nicht früher weggegangen, bis ich sicher war, dieses oder jenes Land würde einen aufnehmen. Im entgegengesetzten Fall wäre es mir ein leichtes gewesen, allein zurückzukehren, geradewegs auf einem kleinen Boot nach Guajira in mein Nest.
    Ich bin sehr spät eingeschlafen, habe einen normalen Schlaf gehabt. Diese erste Nacht war nicht so niederdrückend. Leben, leben, leben. Jedesmal wenn mich die Verzweiflung packt, muß ich dreimal dieses Wort wiederholen, dieses Hoffnungswort: »Solang du hoffst, lebst du!« Eine Woche ist vorbei. Seit gestern bemerke ich eine Änderung in den Essensportionen. Ein köstliches Stück gekochtes Fleisch zu Mittag und abends einen Eßnapf voll Linsen, fast ohne Wasser. Wie ein Kind sage ich mir: »In den Linsen da steckt Eisen drin, das ist gut für die Gesundheit.«
    Wenn das so weitergeht, werde ich zehn bis zwölf Stunden am Tag herummarschieren können und am Abend dann angenehm müde zu den Sternen hinaufreisen. Nein, ich streune nicht herum, ich bin auf der Erde, wahrhaftig auf der Erde, denke an all die Fälle der Sträflinge, die ich auf den Inseln kennengelernt habe. Jeder hat seine Geschichte, seine vergangene und seine jetzige. Ich denke auch an die Legenden, die man sich hier auf den Inseln erzählt. Eine davon, das verspreche ich mir, möchte ich eines Tages, wenn ich wieder auf der Insel bin, überprüfen, ob sie wahr ist: die von der Glocke.
    Wie ich schon erzählt habe, werden die Sträflinge nicht begraben, sondern zwischen Saint-Joseph und Royale ins Meer geworfen, an einer Stelle, die verseucht ist von Haifischen. Der Tote wird in Mehlsäcke eingehüllt, an den Beinen einen Strick mit einem großen Stein. Ein rechteckiger Kasten – immer derselbe steht vorn am Bug des Bootes. Am bezeichneten Ort angekommen, heben die sechs Ruderer ihre Ruder waagrecht zur Bordwand in die Höhe. Ein Mann neigt den Kasten zum Wasser hinunter, ein anderer öffnet eine Art Klappe. So gleitet der Körper ins Meer. Sicher, da gibt es keinen Zweifel, rasieren die Haifische sofort

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