Papillon
er wirklich etwas damit zu tun hatte.«
Die Ereignisse überstürzten sich. In dieser Nacht wurde Girasolo in dem Augenblick, wo er die Klosetts betrat, ermordet. Auf dem Hemd des Büffeltreibers aus Martinique fand man Blut. Vierzehn Tage später wurde er nach einer hastigen Untersuchung und Aussage eines anderen Schwarzen, den man in die Einzelzelle gesteckt hatte, von einem Sondergericht zum Tode verurteilt.
Ein alter Schwerer, Garvel, auch der »Savoyarde« genannt, hat es mir gerade im Waschraum erzählt.
»Papi, mir liegt was im Magen, denn ich bin’s, der Girasolo ermordet hat. Ich würde ja die schwarze Haut retten, aber ich habe Bammel, daß man mich köpft. Um diesen Preis, da spreche ich lieber nicht. Aber wenn mir ein Schwindel einfiele, auf den hinauf ich nur drei bis fünf Jahre bekomme, stell ich mich.«
»Wieviel Jahre Zwangsarbeit hast du?«
»Zwanzig Jahre.«
»Wieviel hast du herunter?«
»Zwölf Jahre.«
»Du mußt ein Mittel finden, daß man dir Lebenslänglich aufbrummt, so kommst du nicht in Einzelhaft.«
»Wie mach ich das?«
»Laß mich überlegen, ich sag’s dir heute nacht.«
Am Abend sage ich Garvel: »Du kannst dich nicht selber anzeigen und die Tatsachen bestätigen.«
»Warum nicht?«
»Du riskierst, zum Tod verurteilt zu werden. Die einzige Art, der Einzelhaft zu entgehen, ist, Lebenslänglich zu kriegen. Stell dich selbst, Motiv: Dein Gewissen läßt nicht zu, daß ein Unschuldiger geköpft wird. Wähle einen korsischen Aufseher als Verteidiger. Ich werde dir seinen Namen sagen, nachdem ich mit ihm gesprochen habe. Man muß schnell machen. Mag sein, sie haben es eilig, ihn einen Kopf kürzer zu machen.
Zwei, drei Tage kannst du warten.«
Ich habe mit dem Aufseher Collona gesprochen, er macht mir einen phantastischen Vorschlag: Ich selbst soll ihn zum Kommandant en bringen und sagen, daß Garvel mich gebeten hat, ihn zu verteidigen und zu begleiten, wenn er sein Geständnis macht, und ich ihm garantiert hätte, daß er unmöglich nach einem solchen Akt von Edelmut zum Tod verurteilt werden könne, obwohl sein Fall sehr schwer wäre und er damit rechnen müßte, Lebenslänglich zu bekommen.
Alles ist gutgegangen. Garvel rettete die schwarze Haut, die unverzüglich in Freiheit gesetzt wurde. Der Zeuge, der ihn fälschlich beschuldigte, erhielt ein Jahr Gefängnis, Robert Garvel Lebenslänglich. Nun sind schon zwei Monate vergangen. Garvel gab mir erst dann einen vollständigen Bericht, als alles vorüber war.
Girasolo war der Mann gewesen, der, nachdem er alle Einzelheiten des Komplotts erfahren und sein Einverständnis gegeben hatte, daran teilzunehmen, Arnaud, Hautin und Jean Carbonieri verriet. Er kannte glücklicherweise keine anderen Namen.
Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Angaben wollten die Aufseher es nicht glauben. Trotzdem schickten sie vorsichtshalber die drei verpfiffenen Sträflinge nach Saint-Joseph, ohne ihnen etwa den Grund hierfür anzugeben, noch sie zu befragen, noch sonst was.
»Welches Motiv hast du angegeben, Garvel, warum du ihn ermordet hast?«
»Weil er mir meinen Plan gestohlen hat. Daß ich gegenüber von ihm schlief, was wahr ist, und daß ich nachts meinen Plan unter der Decke, die zusammengerollt mir als Kopfkissen diente, zu verstecken pflegte.
Eines Nachts wäre ich aufs Klosett gegangen, und als ich zurückkehrte, hätte mein Plan gefehlt. Rund um mich herum hätte es nur einen Mann, nämlich Girasolo, gegeben, der nicht schlief. Die Aufseher haben meiner Erklärung geglaubt und mir nicht einmal gesagt, daß er eine mögliche Revolte verpfiffen hatte.«
»Papillon, Papillon!« schreit man im Hof. »Zum Appell!«
»Hier.«
»Nehmen Sie Ihre Sachen. Sie kommen nach Saint -Joseph.«
»Verdammte Scheiße!«
In Frankreich ist der Krieg ausgebrochen. Das hat ein neues Strafsystem zur Folge. Die Oberaufseher, die verantwortlich für einen Fluchtversuch sind, werden abgesetzt. Die Sträflinge, die wegen eines Fluchtversuches eingekerkert werden, sind zum Tode zu verurteilen. Eine Flucht wird künftig als Vorhaben angesehen, sich den freien französischen Kräften anzuschließen, die das Vaterland verraten. Alles wird toleriert, außer Flucht.
Der Kommandant Prouillet ist schon mehr als zwei Monate weg, den neuen kenne ich nicht. Nichts zu machen. Ich sage meinen Freunden auf Wiedersehen. Um acht Uhr nehme ich das Schiff nach Saint-Joseph.
Der Papa von Lisette, dem kleinen Mädchen, das ich retten wollte, ist nicht mehr im Lager
Weitere Kostenlose Bücher