Papillon
sechs:
»Papillon?« – »Hier.« Abends um sechs: »Papillon?« – »Hier.« Alles in Ordnung. Jetzt halten wir es schon fast sechs Jahre so, er müßte eigentlich schon am Verwesen sein, und mit etwas Glück ist der Tag nahe, da die Kirchenglocke die Haifische herbeirufen wird, um mit allen Ehren das tägliche Bankett zu halten, welches ihnen dein System gratis, unter Nachlaß der Zinsen, offeriert.
Du irrst dich, deine Rechnung stimmt nicht. Meine körperliche Anwesenheit hat nichts mit meiner geistigen Anwesenheit zu tun. Soll ich dir etwas sagen? Ich gehöre nicht dem Bagno. In nichts habe ich mich den Gewohnheiten meiner Mithäftlinge angepaßt, nicht einmal an die meiner engsten Freunde. Ich bin ständig, immer und immer, ein Kandidat der Flucht.
So unterhalte ich mich mit meinem Staatsanwalt, als zwei Männer sich meiner Hängematte nähern. »Schläfst du, Papillon?«
»Nein.«
»Wir wollen dich sprechen.«
»Sprecht. Hier hört uns niemand, wenn wir leise reden.«
»Also, wir sind dabei, eine Revolte vorzubereiten.«
»Euer Plan?«
»Alle Araber sind zu töten, alle Aufseher, alle Frauen von den Gammlern und alle ihre Kinder, die Samenträger in diesem Dreckshaufen. Darum werden ich, Arnaud und mein Freund Hautin, zusammen mit vier Männern, die mit im Bunde sind, uns über das Waffenlager des Kommandos hermachen. Ich arbeite dort, um die Waffen in Ordnung zu halten. Es gibt dreiundzwanzig Maschinengewehre, mehr als achtzig Gewehre, Maschinenpistolen und Revolver. Die Aktion steigt am …«
»Halt, sprich nicht weiter. Da mach ich nicht mit. Ich danke euch für euer Vertrauen, aber ich bin nicht einverstanden.«
»Wir haben geglaubt, daß du damit einverstanden gewesen wärst, Chef der Revolte zu sein. Laß mich dir in allen Einzelheiten berichten, wie wir uns das gedacht haben, und du wirst sehen, da£ es nicht schiefgehen kann. Schon seit fünf Monaten bereiten wir das Ding vor. Wir haben mehr als fünfzig Männer, die mitmachen.«
»Nenne mir keine Namen, ich lehne es ab, der Chef zu sein und auch nur das Geringste damit zu tun zu haben.«
»Warum? Du bist uns eine Erklärung schuldig nach dem Vertrauen, das wir dir entgegengebracht haben.«
»Ich habe dich nicht gebeten, mir deine Pläne zu berichten. Weiter, ich habe in meinem Leben nur das gemacht, was ich wollte, und nicht, was man von mir wollte. Darüber hinaus bin ich gegen Massenmord. Ich kann jemanden, der mir was Ernstes zugefügt hat, umbringen, aber nicht Frauen und Kinder, die mir nichts getan haben. Aber das Gewichtigste, was ihr selbst nicht sehen wollt, das will ich euch jetzt sagen: Eure Revolte mag glücken – trotzdem werdet ihr verlieren.«
»Warum?«
»Weil die wichtigste Sache, nämlich zu flüchten, nicht möglich ist. Nehmen wir an, hundert Mann schließen sich der Revolte an, wie wollt Ihr von hier wegkommen? Es gibt nur zwei Boote auf den Inseln. Hoch gerechnet können die beiden zusammen vierzig Mann aufnehmen. Was werdet ihr mit den sechzig anderen machen?
»Wir? Wir werden bei den ersten vierzig sein, die abhauen.«
»Das nimmst du so an – aber die anderen sind nicht blöder als ihr. Sie werden bewaffnet sein wie ihr, und wenn jeder von ihnen auch nur ein wenig Hirn hat, dann werden alle, von denen du sagst, daß sie ausgeschlossen bleiben, auf euch schießen, ja einer auf den anderen, um auf eines der Boote zu kommen.
Am wichtigsten aber ist an der ganzen Sache, daß diese beiden Boote von keinem Land aufgenommen werden, denn die Telegramme werden früher dort ankommen als ihr, ganz gleich welches Land ihr euch ausgesucht habt für eine mögliche Landung, um so mehr, wenn ihr eine Legion Tote hinterlassen habt.
Überall wird man euch einsperren und an Frankreich ausliefern. Ihr wißt, daß ich aus Kolumbien zurückgekommen bin, ich weiß, was ich sage. Ich gebe euch mein Ehrenwort, daß ihr nach einer solchen Sache überall ausgeliefert werdet.
»Gut. Also du weigerst dich?«
»Ja.«
»Es ist dein letztes Wort?«
»Mein unwiderruflicher Entschluß.«
»Da bleibt uns nur der Rückzug.«
»Augenblick mal. Ich verlange von euch, mit keinem meiner Freunde von diesem Plan zu sprechen.«
»Warum das?«
»Weil ich im vorhinein weiß, daß sie ablehnen werden. Es steht also nicht dafür.«
»Na gut.«
»Könnt ihr diesen Plan nicht aufgeben?«
»Offen gesagt, Papillon, nein!«
»Ich kann euren Traum nicht verstehen, denn wirklich, ganz im Ernst, ich sage euch, daß, selbst wenn die Revolte
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