Papillon
großen Demerara ergießt, verstecken wir das Boot unweit von unserem Viertel. Es ist genauso angestrichen und mit derselben Nummer versehen wie das chinesische Fischerboot, das in Georgetown angemeldet ist. Im Licht der Leuchtfeuer könnte man höchstens bemerken, daß es eine andere Besatzung hat. Wir können uns daher nicht aufrecht stehend zeigen, denn die Chinesen des kopierten Bootes sind klein und dürr, wir groß und stark.
Alles ist ohne Zwischenfall vor sich gegangen, und wir kommen famos den Demerara hinunter und hinaus aufs Meer. Trotz der Freude, daß alles gut abgelaufen ist und wir die Gefahr, entdeckt zu werden, hinter uns haben, kann ich den Erfolg nicht voll genießen – ich habe mich wie ein Dieb von meiner Hinduprinzessin fortgestohlen. Ich bin gar nicht zufrieden mit mir. Gar nicht glücklich. Sie, ihr Vater und alle ihre Leute haben mir nur Gutes erwiesen, und ich vergelte es ihnen so miserabel. Ich suche gar nicht nach Argumenten, um damit mein Verhalten zu rechtfertigen, ich finde, daß ich mich sehr unanständig benommen habe, und bin, wie gesagt, äußerst unzufrieden mit mir. Ich habe – deutlich sichtbar – sechshundert Dollar auf dem Tisch zurückgelassen. Aber mit Geld sind solche Dinge in alle Ewigkeit nicht gutzumachen… Wir müssen achtundvierzig Stunden genauen Nordkurs halten. Ich habe meine alte Idee wieder aufgegriffen, ich will nach Britisch-Honduras gehen. Das bedeutet mehr als zwei Tage auf hoher See.
Wir sind zu fünft auf der Flucht. Unsere Gruppe besteht aus Guittou, Chapar, Barriere, das ist der Mann aus Bordeau, Deplanque, das ist der Kerl aus Dijon, und aus mir, Papillon, Kapitän, verantwortlich für die Navigation.
Kaum dreißig Stunden auf dem Meer, werden wir von einem furchtbaren Sturm erfaßt, dem eine Art Taifun, ein Wirbelsturm, folgt. Blitze, Donner, Regen, riesige und ganz unregelmäßige Wellen, tosender Orkan, der über das Meer hinfegt und uns Wehrlose in einem wahnsinnigen dramatischen Ritt über die See jagt, über eine See, wie ich sie nie zuvor gesehen habe noch mir je vorzustellen vermocht hätte. Zum erstenmal erlebe ich, entgegen allen früheren Erfahrungen, daß die Sturmböen sich ununterbrochen drehen, die Richtung wechseln bis zu einem solchen Grad, daß die Passatwinde völlig unwirksam werden und der Sturm uns in entgegengesetzter Richtung dahintanzen läßt. Wenn das acht Tage angehalten hätte, wären wir unweigerlich zu den Schweren zurückgekehrt.
Dieser Sturm hat übrigens Schlagzeilen gemacht, wie ich später auf Trinidad vom französischen Konsul, Herrn Agostini, erfahren habe. Dieser Taifun in Form einer Windhose hat mehr als sechstausend Kokospalmen seiner Plantage umgebrochen, buchstäblich in Mannshöhe abgesägt. Häuser wurden weit weg durch die Lüfte getragen, fielen ins Meer oder auf die Erde zurück. Wir haben alles verloren: Lebensmittel, Gepäck, Trinkwasser. Der Mast in zwei Meter Höhe abgebrochen. Keine Segel mehr. Und was am schlimmsten ist, das Steuer zerbrochen. Wie durch ein Wunder hat Chapar ein kleines Ruder gerettet, und mit dieser Kelle schaufelnd, versuche ich nun, das Boot zu lenken. Außerdem haben wir uns alle ausgezogen, um eine Art Segel herzustellen. Alles ist dabei draufgegangen, die Jacken, die Hosen, die Hemden. Übrig bleiben fünf Mann in Slips. Dieses aus unseren Kleidern zusammengenähte Segel, zusammengenäht mit einem Draht, von dem wir eine Rolle an Bord hatten, die gottlob nicht verlorenging, erlaubt es uns, mit dem abgebrochenen Mast beinahe so etwas wie einen Kurs zu halten. Die Passatwinde behaupten wieder das Feld, und ich benütze sie, um genau südwärts zu halten, auf irgendein Festland hin, und wenn es Britisch-Guyana ist. Die Strafe, die uns dort erwartet, wäre uns jetzt geradezu ein Willkommgruß! Meine Kameraden haben sich während und nach diesem Sturm, besser gesagt, dieser Sintflut, diesem Zyklon, sehr anständig benommen. Erst nach sechs Tagen, von denen zwei völlig windstill waren, sehen wir das Festland. Mit unserem Fetzen von einem Segel, in dem sich trotz seiner Löcher der Wind fängt, können wir das Boot nicht so exakt steuern, wie wir wollen. Auch das kleine Ruder genügt nicht, um sicher und gut eine Landung durchzuführen. Da wir alle nackt sind, haben wir am ganzen Körper einen schweren Sonnenbrand, was unsere Kräfte herabmindert. Keiner von uns hat mehr Haut auf der Nase, nur offenes Fleisch. Auch Lippen, Beine, Innen- und Außenschenkel sind völlig
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