Papillon
die Luft gegangen sind, erklärt mir der Kommandant des Kanonenbootes, an dem wir kurz darauf anlegen. Ohne daß wir an Bord kommen mußten, reicht uns die Besatzung Kaffee, kräftig gezuckerte Milch, Zigaretten.
»Geht nach Venezuela, ihr werdet gut behandelt werden, seid versichert. Ich kann euch nicht an Land setzen, denn wir müssen einen schwerverletzten Mann vom Leuchtturm von Barimas holen. Vor allem versucht nicht, nach Trinidad zu kommen, denn da habt ihr Chance neun zu zehn, auf eine Mine aufzulaufen, und seid hopps…«
Nach einem »Adios, buena suerte! – Auf Wiedersehen, und viel Glück!« fährt das Kanonenboot weg. Es hat uns zwei Liter Milch dagelassen.
Wir richten das Segel. Schon um zehn Uhr vormittags, dank Kaffee und Milch mit belebten Magenwänden und Sinnen, eine Zigarette im Mund, fahre ich unbekümmert, als verstünde sich das ganz von selbst, auf dem feinen Sand eines Strandes auf, wo sich an die fünfzig Menschen versammelt haben, um zu sehen, was da wohl für ein sonderbarer Kahn daherschwimmt, mit einem Maststumpf und einem Segel aus Hemden, Jacken und Hosen.
Dreizehntes Heft: Venezuela
Die Fischer von Irapa
Ich entdecke eine Welt – völlig neu und unbekannt für mich. Diese ersten Minuten auf dem Boden von Venezuela sind ein solches Erlebnis gewesen, daß es eines größeren Talentes bedürfte als des meinen, um zu beschreiben, um auszudrücken, auszumalen, in welcher warmen Atmosphäre sich der Empfang vollzog, den uns diese großherzige Bevölkerung bereitet hat. Die Männer, Weiße wie Schwarze – doch sind sie in der Mehrzahl alle von heller Farbe, von der Tönung weißer Haut nach mehreren Tagen Sonnenbad –, haben fast alle die Hosen bis zum Knie aufgekrempelt.
»Ihr Armen! In welchem Zustand seid ihr!« sagen die Männer.
Das Fischerdorf, wo wir landeten, heißt Irapa, eine kleine Gemeinde in dem Staat, der das Zuckerland genannt wird. Die jungen Frauen, alle hübsch, eher klein, jedoch überaus zierlich, und ebenso die älteren, reiferen Frauen wie die ganz alten verwandeln sich alle ohne Ausnahme in Krankenpflegerinnen, in barmherzige Schwestern, in Pflegemütter.
Unter der gedeckten Terrasse eines Hauses, wo sie fünf Hängematten aufgehängt und einen Tisch mit Stühlen hingestellt haben, werden wir von Kopf bis Fuß mit Kakaobutter eingerieben. Kein Zentimeter der offenen Haut wird vergessen. Wir sind halbtot vor Hunger und Müdigkeit, und die langen Fasttage haben eine gewisse Austrocknung unserer Körper herbeigeführt. Diese Küstenbewohner wissen genau, daß wir zwar schlafen, aber auch in kleinen Mengen immer wieder Essen zu uns nehmen müssen. Und so wurden wir, gut in unsere Hängematten gebettet, auch während des Schlafes von unseren Pflegerinnen gefüttert. Ich war so fertig und in dem Augenblick, da man mich in die Hängematte legte und die offenen Wunden durch die Kakaobuttereinreibungen zu schmerzen aufhörten, so sehr von allen Kräften verlassen, daß ich buchstäblich dahinschmolz und während ich schlief, aß und trank, nichts von dem wahrnahm, was rund um mich vorging.
Die ersten Löffel einer Art Tapiokabrei wurden von meinem leeren Magen nicht angenommen. Übrigens nicht nur von meinem. Wir alle haben mehrmals jede Nahrung, die uns die Frauen in den Mund schoben, wieder von uns gegeben.
Die Leute dieses Dorfes sind bitterarm. Trotzdem trägt jeder, ohne Ausnahme, etwas zu unserer Wiederbelebung bei. Nach drei Tagen sind wir dank dieser kollektiven Fürsorge und dank unserer Jugend fast wieder auf den Beinen.
Für lange Stunden stehen wir schon auf, sitzen auf der mit Palmblättern bedeckten Terrasse, die uns luftigen Schatten spendet, und meine Kameraden und ich unterhalten uns mit den Leuten. Sie haben nicht genug, um uns alle auf einmal einzukleiden, und so bildeten sie kleine Gruppen: die eine übernahm Guittou, die andere Deplanque und so weiter. Ungefähr ein Dutzend Menschen kümmern sich um mich.
In den ersten Tagen hat man uns mit irgendwelchen gebrauchten, jedoch peinlich sauberen Sachen versorgt; jetzt kaufen sie uns, wann immer sie können, ein neues Hemd, eine Hose, einen Gürtel, ein Paar Pantoffel. Unter den Frauen, die sich meiner annehmen, sind sehr junge Mädchen von indianischem Typ, jedoch schon mit spanischem und portugiesischem Blut gemischt. Die eine heißt Tibisay, die andere Nenita.
Sie haben mir ein Hemd gekauft, eine Hose und Pantoffel, die sie »Aspargate« nennen. Sie bestehen aus einer Ledersohle ohne
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