Papillon
undankbar gegenüber Indara bin und ihre bedingungslose Liebe nicht so erwidere, wie ich eigentlich müßte. Aber was soll ich tun?
Sie hängt sich so an mich, daß sie mir auf die Nerven geht. Diese unkomplizierten Wesen kennen in ihrem Begehren keine falsche Zurückhaltung, und sie erwarten nicht, daß der Geliebte sie zur Liebe auffordert.
Dieses Hindumädchen reagiert genauso wie ihre indianischen Schwestern von Goajira: Wenn es sie danach verlangt, legen sie sich hin, und wenn man sie dann nicht nimmt, ist das eine sehr ernste Sache. Ein echter, tiefer Schmerz keimt dann in ihrem innersten Ich, und das stört mich. Denn weniger noch als ihre indianischen oder ihre Hinduschwestern möchte ich Indara kränken, und ich zwinge mich dazu, sie in meine Arme zu nehmen, damit sie sich freut.
Gestern habe ich eine der entzückendsten Pantomimen erlebt, eine der empfindsamsten und ausdrucksvollsten stummen Szenen, die man überhaupt erleben kann. In Britisch-Guayana gibt es noch eine Art moderner Sklaverei. Die Javaner kommen auf die Baumwollplantagen, auf die Zuckerrohr- und Kakaopflanzungen und müssen sich dort auf fünf bis zehn Jahre verpflichten. Ehegatten müssen gemeinsam täglich zur Arbeit hinaus, außer sie sind krank. Wenn aber der Arzt ihre Krankmeldung nicht anerkennt, dann müssen sie zur Strafe über ihren Vertrag hinaus einen zusätzlichen Monat arbeiten. Und für kleinere Delikte kommen noch weitere Monate hinzu. Da sie alle Spieler sind, verschulden sie sich bei der Plantagengesellschaft, und um ihre Gläubiger zu bezahlen, unterzeichnen sie die Verlängerung ihres Arbeitsvertrages auf ein oder mehrere Jahre, um eine Geldprämie zu ergattern. Praktisch kommen sie nie aus dieser Art Sklaverei heraus. Für diejenigen, die imstande sind, die Ehefrau zu spielen und gewissenhaft ihr Wort zu halten, ist nur eine Sache heilig: die Kinder. Sie tun alles, nur damit diese »free« bleiben – frei. Sie nehmen die größten Schwierigkeiten und Entbehrungen auf sich, und wirklich unterzeichnet sehr selten eines ihrer Kinder einen Arbeitsvertrag mit der Plantagenverwaltung.
Heute also habe ich der Hochzeit eines dieser Mädchen beigewohnt. Alle Anwesenden sind in lange Kleider gehüllt, die Frauen in dünnen weißen Stoff, die Männer in lange weiße Gewänder, die bis zu den Füßen reichen. Viele Orangenblüten. Nach Abschluß der religiösen Riten entrollt sich nun eine besondere Szene in dem Augenblick, in welchem der junge Gatte seine Frau wegführen will. Die Gäste stehen rechts und links von der Eingangstür des Hauses, auf der einen Seite die Frauen, auf der andern die Männer. Auf der Schwelle des Hauses, vor der offenen Tür, sitzen der Vater und die Mutter des Mädchens. Die Jungvermählten umarmen ihre Familie und gehen zwischen den beiden langen Reihen einige Meter hindurch. Plötzlich entschlüpft die Braut den Armen ihres Gatten und läuft zu ihrer Mutter zurück. Die Mutter legt eine Hand über ihre Augen, mit der anderen schickt sie die Tochter zum Gatten zurück. Der breitet die Arme aus und ruft sie zu sich, sie aber macht Gesten, mit denen sie ausdrückt, daß sie nicht weiß, was sie tun soll. Ihre Mutter hat ihr das Leben gegeben, und um das zu veranschaulichen, weist sie auf den Bauch der Mutter, als wollte sie ihr etwas ganz Kleines herausziehen. Und dann hat ihre Mutter ihr die Brust gereicht. Auch das deutet sie mit Gesten an. Darf sie das alles vergessen, nur um dem Mann zu folgen, den sie liebt? »Vielleicht – aber sei nicht ungeduldig«, sagt sie in stummer Mimik zu ihm. »Warte noch ein wenig, laß mich meine Eltern noch ein bißchen betrachten, die so gut zu mir waren und mir alles im Leben bedeuteten bis zu dem Augenblick, da ich dir begegnet bin.«
Nun gibt er ihr mimisch zu verstehen, daß das Leben doch auch von ihr verlangt, Gattin und Mutter zu werden.
Die ganze Szene rollt unter den Gesängen der jungen Mädchen ab und der Burschen, die ihnen singend antworten. Zum Schluß, nachdem sie nochmals den Armen ihres Mannes entschlüpft ist und wieder ihre Eltern umarmt hat, läuft sie einige Schritte auf ihren Gatten zu, springt ihm in die Arme, und er trägt sie schnell zu dem blumengeschmückten Wagen hin, der sie beide erwartet.
Die Flucht wird peinlich genau vorbereitet, damit die Polizei auch nicht den leisesten Wind bekommt. Ein breites und langes Boot mit guten Segeln und einem erstklassigen Steuer steht bereit.
Im Penitence River, dem Flüßchen, das sich in den
Weitere Kostenlose Bücher