Papillon
Stimme: »Bist du es?«
»Ja. Ist dort Jesus?«
»Ja.«
Er zündet für eine Sekunde ein Streichholz an. Ich sehe, wo er ist, werfe mich ins Wasser und komme bei ihm an. Es sind zwei Mann.
»Komm herauf. Wer ist es?«
»Papillon.«
»Gut.«
»Wir müssen ein Stück zurück, mein Freund hat sich beim Sprung über die Mauer den Fuß gebrochen.«
»Da, nimm das Ruder und reiß an!«
Die drei Indianerruder tauchen ins Wasser, und das leichte Boot hat rasch die hundert Meter zurückgelegt, die uns von der Stelle trennen, wo die beiden sein müssen. Da man nichts sieht, rufe ich: »Clousiot!«
»Still, um Himmels willen!« sagt Jesus. »Dicker, mach dein Feuerzeug an!« Funken sprühen – sie haben uns entdeckt. Clousiot pfeift nach Lyoner Art zwischen den Zähnen, ein Pfeifen, das nicht laut, aber gut zu hören ist, wie das Zischen einer Schlange. Das Pfeifen lenkt uns. Der Dicke steigt aus, hebt Clousiot auf und legt ihn ins Boot. Maturette steigt ein, dann der Dicke. Wir sind jetzt fünf, und das Boot taucht bis zum Rand ins Wasser. »Bewegt euch nicht, ohne es mir vorher zu sagen«, flüsterte Jésus . »Papillon, hör zu rudern auf, leg die Schaufel über die Knie. Tauch an, Dicker!« Und mit Hilfe der Strömung gleitet das Boot rasch in die nächtliche Finsternis hinein.
Als wir nach einem Kilometer an der von einem schlechten Dynamo kläglich beleuchteten Strafanstalt vorüberfahren, sind wir in der Mitte des Flusses und flitzen mit unglaublicher Geschwindigkeit stromab. Der Dicke hat sein Ruder zurückgelegt. Jesus, das Ruder an den Schenkel gepreßt, bemüht sich nur noch darum, das Boot im Gleichgewicht zu halten und es zu steuern.
»Jetzt können wir reden und rauchen«, sagt er. »Ich glaube, es ist gutgegangen. Bist du sicher, daß ihr keinen getötet habt?«
»Ich glaube nicht.«
»Du lieber Himmel, hast du mich reingelegt, Jesus!« sagt der Dicke. »Du hast mir gesagt, daß es ein Fluchtversuch ohne Komplikationen ist, dabei ist es ein Fluchtversuch von Internierten, wie ich jetzt höre!«
»Ja, es sind Internierte, Dicker. Ich wollte es dir nicht sagen, weil du mir sonst nicht geholfen hättest, und ich habe einen Mann gebraucht. Aber reg dich nicht auf, wenn wir erwischt werden, nehme ich alles auf mich.«
»In Ordnung, Jesus. Für die hundert Eier, die du mir gibst, mag ich meinen Kopf nicht riskieren, wenn einer tot ist. Oder ›Lebenslänglich‹, wenn einer verwundet ist.«
»Ich schenke jedem von euch tausend Franc«, erkläre ich.
»Gemacht, Mensch. Das ist in Ordnung, danke. Man krepiert im Dorf vor Hunger, freigelassen sein ist ärger als gefangen. Als Gefangener hat man wenigstens alle Tage sein Fressen und hat seinen Anzug.«
»Hast du nicht starke Schmerzen?« wendet sich Jesus zu Clousiot.
»Es geht«, sagt Clousiot. »Was machen wir mit meinem gebrochenen Bein, Papillon?«
»Wird sich zeigen. Wohin fahren wir, Jesus?«
»Ich bring euch in eine Bucht, dreißig Kilometer oberhalb der Flußmündung. Dort könnt ihr euch acht Tage versteckt halten, bis die ärgste Hetze durch die Posten und Menschenjäger vorüber ist. Sie sollen den Eindruck bekommen, daß ihr noch in der ersten Nacht den Maroni hinunter und in See gestochen seid. Die Menschenjäger haben nämlich Boote ohne Motor, das ist das gefährlichste. Feuermachen, Reden, Husten kann alles verhängnisvoll für euch werden, wenn sie in Hörweite sind. Die Motorboote der Aufseher sind zu groß, um in die Bucht zu fahren, sie würden dort auflaufen. Die Nacht hellt sich auf. Als wir nach langer Suche endlich an das Versteck gelangen, das nur Jesus kennt, ist es gegen vier Uhr morgens. Wir sind buchstäblich mitten im Busch. Unser Fahrzeug drückt das kleine Gebüsch nieder, das sich hinter uns wieder aufrichtet und einen sehr dichten schützenden Vorhang bildet. Wir müssen darauf achten, ob das Boot nicht zuviel Tiefgang hat… Wir dringen ein, wir dringen vor. Aber um bis ans letzte Ziel zu gelangen, brauchen wir mehr als eine Stunde, weil wir ununterbrochen die Zweige abhauen oder wegdrücken müssen, die uns den Weg_ versperren.
Auf einmal befinden wir uns in einer Art Kanal und halten an. Die Böschung ist grün überwuchert, riesenhafte Bäume neigen sich über sie zum Wasserspiegel herab, und obwohl es schon nach sechs Uhr ist, dringt kein Strahl Tageslicht durch das Laub. Unter diesem imposanten Schwibbogen dringen die Stimmen Tausender uns unbekannter Tiere an unser Ohr.
»Hier müßt ihr acht Tage lang
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