Papillon
einen Dienst zu erweisen, oder möchtest du selber mit uns fort?«
»Ich möchte mit euch fort, geht das?« – Gemacht, gemacht! Wir drücken einander die Hand.
Abends um acht sitzt Maturette am Fenster. Er braucht den Araber nicht zu rufen, er kommt ganz von selbst.
Sie fangen an, sich leise miteinander zu unterhalten. Um zehn Uhr legt sich Maturette schlafen. Wir liegen bereits seit neun in der Falle – jeder mit einem blinzelnden Auge. Der Araber kommt herein, macht zweimal die Runde und findet einen Toten. Er schlägt an die Tür, kurz darauf kommen zwei mit einer Bahre und tragen den Toten hinaus. Der Tote kommt uns wie gerufen, er rechtfertigt die Runden des Arabers zu jeder Nachtzeit. Auf unseren Rat hin verabredet sich Maturette mit ihm für elf Uhr. Der Gefangenenwärter kommt um die verabredete Zeit, geht am Bett des Kleinen vorbei, zupft ihn am Fuß, um ihn zu wecken, und geht zur Toilette. Maturette folgt ihm. Eine Viertelstunde später kommt der Araber zurück, geht direkt auf die Tür zu und verläßt den Saal. Maturette legt sich nieder, ohne uns etwas zu sagen. Am nächsten Tag spielt sich dasselbe ab, aber um Mitternacht. Alles läuft wie am Schnürchen, der Araber kommt, wann immer der Kleine es will.
Am 27. November 1933 warte ich um vier Uhr nachmittags auf ein Wort Sierras. Zwei Bettfüße, als Waffen, sind bereits gelockert. Der Krankenwärter Chatal kommt ohne Zettel. »Francois Sierra läßt dir ausrichten, daß Jesus dich an der ausgemachten Stelle erwartet«, sagt er. »Viel Glück!« Um acht Uhr abends sagt Maturette zu seinem Araber: »Komm heute erst nach Mitternacht, man kann um diese Zeit länger beisammenbleiben.«
Der Araber ist einverstanden. Genau um Mitternacht sind wir bereit. Der Araber kommt gegen ein Viertel nach zwölf, geht direkt zu Maturettes Bett, zieht ihn am Fuß und geht aufs Klo. Maturette hinterdrein. Ich schraube meinen Bettfuß ab, dabei entsteht etwas Lärm. Bei Clousiot ist nichts zu hören. Ich muß mich hinter die Tür der Toilette stellen, und Clousiot muß auf den Araber zugehen, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wir warten zwanzig Minuten, dann geht alles ganz schnell. Der Araber kommt aus dem Klosett heraus und fragt Clousiot überrascht: »Was machst denn du da, mitten im Saal, um diese Zeit? Leg dich nieder!«
Im selben Moment erhält er einen Schlag auf den Hinterkopf und sackt lautlos zusammen. Schnell ziehe ich seine Sachen an, seine Schuhe, dann schieben wir ihn unter ein Bett. Vorher gebe ich ihm noch einen zweiten Schlag ins Genick. Er hat genug. Keiner von den achtzig Männern im Saal regt sich. Ich gehe rasch zur Tür, gefolgt von Clousiot und Maturette, die beide im Hemd sind, und klopfe. Der Aufseher öffnet. Ich schwinge den Eisenfuß – tak! – auf seinen Kopf. Dem andern, ihm gegenüber, fällt der Karabiner herunter, er ist wahrscheinlich eingeschlafen. Ich schlage ihn nieder, ehe er reagieren kann. Beide haben keinen Laut von sich gegeben, nur der von Clousiot hat ein kurzes »Ah!« ausgestoßen, bevor er zusammenbrach. Meine beiden sind auf ihrem Sessel sitzen geblieben, der dritte liegt der Länge nach auf dem Boden. Wir halten den Atem an: das »Ah!« hat für uns geklungen, als ob jeder es hätte hören müssen – es war laut genug. Aber nichts rührt sich. Wir kehren nicht in den Saal zurück, sondern gehen mit den Karabinern gleich weiter.
Clousiot voraus, unser Benjamin in der Mitte, ich hinterher. Wir steigen über die von einer Laterne schlecht beleuchtete Treppe hinunter, Clousiot hat seinen Bettfuß zurückgelassen, ich halte den meinen in der linken Hand, in der rechten den Karabiner. Unten – nichts. Die Nacht um uns ist tintenschwarz. Wir müssen sehr genau schauen, um die Mauer in Richtung Fluß zu finden. Dort angekommen, mache ich die Leiter. Clousiot klettert auf meinen Rücken, setzt sich rittlings auf die Mauer, zieht Maturette hinauf, dann mich. Auf der anderen Seite lassen wir uns ins Dunkel hinabgleiten. Clousiot fällt in ein Loch und verletzt sich am Fuß.
Maturette und ich kommen gut unten an. Die beiden Karabiner haben wir innerhalb der Mauer liegengelassen. Wenigstens glaube ich das.
Clousiot kann sich nicht erheben, er glaubt, er hat sich den Fuß gebrochen. Ich lasse Maturette bei Clousiot zurück und tappe mich mit der Hand an der Mauer entlang auf die Ecke zu. Es ist so finster, daß ich das Ende der Mauer nicht sehe und auf einmal ins Leere greife.
Da höre ich vom Fluß eine
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