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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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der Wind noch ziemlich stark ist und die Wogen hoch und regelmäßig sind, bitte ich Maturette, mich ein wenig abzulösen, ich möchte schlafen. Knapp zehn Minuten, nachdem ich mich niedergelegt habe, nimmt Maturette eine Woge quer, und das Boot füllt sich zu drei Vierteln mit Wasser. Alles schwimmt: Kisten, Ofen, Decken … Ich dringe, bis zum Bauch im Wasser, ans Steuerruder vor und komme gerade noch zurecht, um einem riesigen Brecher auszuweichen, der direkt auf uns zukommt. Ein Griff, und der Brecher liegt hinter mir. Er kann dem Boot nicht mehr gefährlich werden und hat uns zugleich mehr als zehn Meter weit über die gefährliche Stelle hinausgetragen.
    Alle schöpfen Wasser. Der große Kochkessel, den Maturette gebraucht, faßt fünfzehn Liter auf einmal.
    Niemand denkt an seine eigenen Sachen, alle sind nur von dem einen Gedanken besessen, das Wasser, das das Boot so schwer und unbeweglich macht, so rasch wie möglich hinauszubekommen. Ich muß zugeben, daß die drei Neuen sich tapfer gehalten haben, und der Bretone hat, als er sah, daß seine Kiste davongetragen wurde, ohne zu zögern von selbst den Entschluß gefaßt, das Boot dadurch zu erleichtern, daß er es auch noch vom Wasserfaß befreite; er stieß es ohne große Anstrengung über Bord. Zwei Stunden später ist alles trocken, aber wir haben die Decken eingebüßt, den Spirituskocher, den Ofen, die Holzkohlensäcke, den Benzinkanister und das Wasserfaß, letzteres sogar noch freiwillig.
    Mittags, als ich meine Hose wechseln will, bemerke ich, daß auch mein kleiner Koffer von dem Brecher davongetragen wurde, samt zwei von den drei Seemannsmänteln. Dagegen haben wir auf dem Grund des Bootes zwei Flaschen Rum gefunden. Unser Tabak ist weg oder aufgeweicht, die Blätter mitsamt der wasserdichten weißen Blechschachtel verschwunden.
    »Kinder«, sage ich, »zuerst trinken wir einen ordentlichen Schluck Rum, dann macht ihr die Reservekiste auf und seht nach, womit wir noch rechnen können. Ist Fruchtsaft da? Gut, wir werden ihn rationieren. Dosen mit Butterkeks? Leert eine davon aus und macht einen Ofen daraus. Wir werden die Konserven auf den Grund des Bootes legen und mit den Kistenbrettern Feuer machen. Eben haben wir noch alle Angst gehabt, jetzt ist die Gefahr vorüber, wir müssen uns erholen und auf der Höhe der Ereignisse bleiben.« Ich lache sogar einen Moment. Dann sage ich: »Von diesem Augenblick an gibt es kein ›Ich habe Durst‹, ›Ich habe Hunger‹ oder ›Ich habe Lust zu rauchen‹ mehr. Einverstanden?«
    »Ja, Papi, einverstanden.«
    Alle halten sich gut, und die Vorsehung sorgt dafür, daß der Wind sich legt, was uns erlaubt, uns aus Corned beef eine Suppe zu kochen. Eine Menageschale dieser Suppe mit eingetunktem Zwieback bildet eine schöne warme Grundlage im Bauch, die bis zum nächsten Morgen ausreichen muß. Ein kleines bißchen grünen Tee für jeden, und in der intakten Kiste findet sich auch noch ein Karton Zigaretten. Die Pakete sind klein, sie enthalten jedes nur acht Stück, das sind insgesamt achtzig. Die fünf Mann entscheiden, daß nur ich rauchen soll, um mich wach zu halten, und damit niemand neidig wird, weigert sich Clousiot, mir die Zigaretten zwischen seinen Lippen anzuzünden, er gibt mir nur Feuer. Dank dieser Verständnisbereitschaft kommt es zu keiner unangenehmen Auseinandersetzung unter uns.
    Wir sind schon sechs Tage unterwegs, und ich bin noch nicht zum Schlafen gekommen. Da die See heute abend glatt ist, schlafe ich. Ich schlafe fast fünf Stunden lang wie ein Murmeltier. Es ist zehn Uhr abends, als ich erwache. Noch immer Windstille. Die andern haben ohne mich gegessen, und ich finde eine prächtig zubereitete Polenta vor, aus einer Dose natürlich. Ich esse sie mit etwas geräucherter Wurst. Es schmeckt herrlich. Der Tee ist fast kalt, aber das macht nichts. Ich rauche und warte. Und hoffe, daß wieder Wind aufkommt.
    Die Nacht ist sternklar. Der Polarstern funkelt. Nur das Kreuz des Südens übertrifft ihn an Leuchtkraft.
    Deutlich sind der Große und der Kleine Bär zu sehen. Nicht eine Wolke. Und der volle Mond steht bereits hoch im ausgestirnten Himmel. Der Bretone zittert vor Kälte. Er hat seine Jacke verloren und ist in Hemdsärmeln. Ich lege ihm den Seemannsmantel um.
    Es geht auf den siebenten Tag.
    »Kumpels«, sage ich, »wir können nicht mehr sehr weit von Curacao sein. Ich habe den Eindruck, daß ich etwas zu sehr nach Norden abgekommen bin, ich werde von jetzt an voll nach Westen

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