Paradies
ihm gar nicht gefiel.
Er ging ein paar Schritte weiter und warf einen verstohlenen Blick in den Flur hinaus. Mehrere Männer standen dort, von denen er einige noch nie gesehen hatte. Alle trugen sich ähnelnde braune und schlecht sitzende Anzüge, was, zum Teufel? Schnell wich er mit lautlosen Schritten in den Raum zurück. Schweiß trat auf seine Stirn, er begriff, wer die Männer waren. Es waren RDB-Leute aus Belgrad, was machten die denn hier? Waren sie seinetwegen hier?
»Der Konsul empfängt dich jetzt.«
Wieder in den Flur hinaus, vorbei an dem Fetten, in das nächste Zimmer, die Unbekannten beachteten ihn nicht.
»Ratko«, sagte der Konsul, »morgen früh um sieben geht ein Flugzeug über Wien nach Skopje. Unsere Leute werden dich am Flugplatz abholen. Du fährst sofort.«
Er starrte den glatzköpfigen kleinen Mann an, der einige Dokumente auf seinem Schreibtisch sortierte, was zum Teufel war hier los?
»Warum?«
»Wir haben schlechte Nachrichten aus Den Haag.«
Die Bedrohung wurde greifbar, verdammter Mist, das UN-Kriegsverbrechertribunal.
»Ab morgen zwölf Uhr wird mit einem internationalen Haftbefehl nach dir gesucht.«
Er schluckte, der Schweiß brannte, all diese Männer, was hatten sie mit der Sache zu tun?
Der Konsul klopfte die Blätter gegen die Tischplatte, um sie zu einem Stapel zu ordnen, stand auf und ging um den Tisch herum.
»Wir haben dir neue Papiere besorgt«, sagte er. »Unsere Besucher haben den ganzen Abend an ihnen gearbeitet. Du musst hier noch unterschreiben und dich fotografieren lassen, dann ist alles fertig.«
Seine Gedanken kamen langsam in Bewegung.
»Aber«, sagte er, »die Haftbefehle sind doch geheim, bis sie offiziell bekannt gegeben werden, woher wisst ihr denn schon Bescheid?«
Der Konsul, der einen Kopf kleiner war als er, blieb mit ausdruckslosem Gesicht vor ihm stehen. Die Sache bereitete ihm offensichtlich keine Freude.
»Wir wissen es«, sagte er nur. »Sobald du deinen neuen Pass bekommen hast, musst du das Land verlassen, noch heute Nacht.
Du fliegst von Oslo aus.«
Er wollte sich fallen lassen, einen Wodka trinken, Zeit haben, um zu verstehen. Er würde zur Mittagszeit noch nicht in Sicherheit sein, sondern in der Luft zwischen Wien und Mazedonien, und Skopje lag viele Stunden von Belgrad entfernt.
Er schluckte und starrte den Konsul an.
»Du bekommst einen norwegischen Pass. Du heißt Runar Aakre.
Wir hoffen, dass du mit ihm gut über die Grenze kommst.«
Die Männer im Zimmer traten auf einen Wink hin zu ihm. Alle hatten eine Aufgabe zu erfüllen, und die Zeit drängte.
DIENSTAG, 6. NOVEMBER
Das Haus war dunkel und hockte bedrohlich am Meeresufer. Thomas wusste, dass sie wach war. Irgendwo in dieser Dunkelheit saß Eleonor und wartete. Er war vorher noch nie einfach so fort gewesen, in sechzehn Jahren nicht.
Vorsichtig schloss er die Autotür, und das Piepen der Zentralverriegelung hallte zwischen den Häusern wider. Dann atmete er drei Mal tief durch, schloss die Augen und versuchte, sich über seine Gefühle klar zu werden.
Die junge Frau, die er schlafend im Bett zurückgelassen hatte, war noch als eine große und verzehrende Wärme in ihm gegenwärtig.
Mein Gott, nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares empfunden.
Die Sache war ernst. Sie war einfach unglaublich, so echt und lebendig.
Annika.
Ihr Name war auf seiner Fahrt aus der Stockholmer Innenstadt nach Vaxholm unablässig in ihm erklungen. Sein Entschluss war unterwegs in der Dunkelheit gereift, und im Grunde war er selbstverständlich.
Er würde ehrlich sein. Er würde alles erzählen und seiner Frau sagen, wie die Dinge lagen. Ihre Ehe war tot, das musste Eleonor einsehen. Er wollte mit ihr, der anderen Frau, zusammen sein und ein neues Leben anfangen, ein anderes Dasein. Er würde sich nicht wegen Annika scheiden lassen, sie brachte ihn nur dazu, den entscheidenden Schritt zu tun.
Erleichtert darüber, seinen Entschluss in die Tat umsetzen zu können, ging er zum Haus hinauf. Der gefrorene Schotter knirschte unter seinen Füßen.
Es würde hart werden, aber Eleonor würde schon darüber hinwegkommen. Das Haus konnte sie behalten, er wollte es nicht. Andererseits musste sie ihm eigentlich seinen Anteil am Wert der Immobilie ausbezahlen, die Wertsteigerang gehörte ihr nicht allein.
Sie stand in einem rosa Morgenmantel, mit rot verheulten Augen und einem Gesicht, das vor Wut kreideweiß war, hinter der Tür.
»Wo bist du gewesen?«
Er setzte die Aktentasche im Flur ab,
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