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Paradies

Paradies

Titel: Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Schmerz.
    Sie hatte die Panik unterdrückt und ihren Körper gezwungen, sich zu bewegen, sie schwamm so weit wie möglich unter der Wasseroberfläche von der Kaikante weg, holte Luft und tauchte wieder unter. Die Wellen warfen sie die letzten Meter bis zu dem Kai auf der anderen Seite des Hafens, ihre Schulter schlug gegen den Beton, sie hatte sich umgedreht und gesehen, wie er auf das Wasser hinausstarrte, eine schwarze Silhouette vor dem Lagerhaus im Goldschein.
    Sie war im Ölhafen hochgeklettert, hatte sich zwischen zwei gelbe Poller gelegt und für einen Moment das Bewusstsein verloren.
    Angst und Adrenalin hatten die Ohnmacht wieder verdrängt. Sie war an eine windgeschützte Stelle gegangen und hatte den Inhalt ihrer Tasche kontrolliert. Nach einigen Versuchen gelang es ihr, das Handy in Gang zu bekommen, und sie bestellte ein Taxi zu Louddens Ölhafen. Dann wollte dieser dämliche Taxifahrer sie nicht ins Auto lassen, weil sie so nass war, aber sie hatte nicht locker gelassen, und er hatte sie zu diesem heruntergekommenen Motel gefahren.
    Sie strich sich über die geschlossenen Augen.
    Der Taxifahrer war ein Problem. Er würde sich garantiert an sie erinnern und vermutlich reden, wenn er nur genug Geld dafür bekam.
    Sie musste eigentlich weg von hier, ihre Sachen packen und das Zimmer schon diese Nacht verlassen.
    Plötzlich spürte sie, dass die Zeit knapp wurde. Sie stand auf, war diesmal etwas stabiler auf den Beinen, weil das fiebersenkende Mittel seine Wirkung tat, und zog ihre verknitterten Kleider an.
    Der Mantel war in den Taschen immer noch ein wenig feucht.
    Sie hatte gerade ihren Medikamentenbeutel in die Tasche gelegt, als es an der Tür klopfte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Atem ging federleicht.
    »Aida?«
    Die Stimme hinter der Tür war leise, sanft und dumpf. Das Spiel der Katze mit der Maus.
    »Ich weiß, dass du hier bist, Aida.«
    Sie nahm ihre Tasche und stürzte ins Badezimmer, schloss die Tür hinter sich ab, kletterte auf den Rand der Badewanne und schob das kleine Lüftungsfenster auf. Ein kalter Wind schlug ihr entgegen. Sie warf die Tasche hinaus, riss sich den Mantel vom Leib und drückte ihn durch die Öffnung. Im gleichen Moment hörte sie das Geräusch von berstendem Glas im Zimmer.
    »Aida!«
    Sie nahm Schwung, warf sich durch die Öffnung, fing sich mit den Händen ab und schlug einen Purzelbaum, als sie den Erdboden erreichte. Die Schläge gegen die Badezimmertür hallten durch das offene Fenster hinaus, das Geräusch von zersplitterndem Holz. Sie zog den Mantel an, packte die Tasche und lief in Richtung Autobahn davon.

MONTAG, 29. OKTOBER
    Sie stieg an der Endhaltestelle der Linie 41 aus, atmete auf, sah den Bus davonfahren und hinter einem niedrigen Verwaltungsgebäude verschwinden. Alles war still, keine Menschenseele zu sehen. Der Tag war dabei, aufzugeben und sich zurückzuziehen, noch bevor er gekommen war. Sie vermisste ihn nicht.
    Sie hängte sich die Tasche über die Schulter und ging einige Meter, sah sich um. Es war ein eigenartiges Gefühl, zwischen diesen Häusern und Lagerhallen umherzugehen. Hier endete Schweden.
    Ein Schild links von ihr wies den Weg in Richtung Tallinn, Klaipeda, Riga, Sankt Petersburg, zu den neuen Volkswirtschaften, den jungen Demokratien.
    Kapitalismus, dachte Annika. Eigenverantwortlichkeit, Privatisierungen. Ist das die Lösung?
    Sie hielt das Gesicht in den Wind und blinzelte. Alles wurde grau.
    Das Meer, die Kais, die Häuser, die Kräne. Kalte, hartnäckige Sturmböen. Sie schloss die Augen und ließ den Wind an ihr zerren.
    Ich habe alles, was ich mir je gewünscht habe, dachte sie. Genau so will ich mein Leben leben. Ich habe es selbst gewählt. Ich kann niemandem einen Vorwurf machen.
    Sie blickte direkt in den Wind, der ihre Augen tränen ließ. Geradeaus lag die Hauptverwaltung des Stockholmer Hafens, ein schöner alter Ziegelbau mit Erkern, Terrassen und einem Blechdach in verschiedenen Stufen. Hinter dem Gebäude erhoben sich die riesigen Silos der Raiffeisenkooperative wie zusammengewachsene Penisse gen Himmel. Der Fährterminal Richtung Estland lag links, dahinter begann das offene Wasser. Rechts erstreckte sich ein Hafenbecken mit Kränen und Lagerhallen zu beiden Seiten.
    Sie schlug den Kragen der Jacke hoch, zog das Halstuch enger und ging langsam zu dem Bürogebäude. Eine Fähre aus Tallinn lag vor Anker und sah hinter den Häusern gigantisch aus. Das Fenster der Balten zum Westen.
    Als sie um die Ecke des

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