Paradies
Bürogebäudes bog, sah sie die Absperrungen. Die blauweiß gestreifte Plastikfolie flatterte einsam und verfroren bei den Silos im Wind. Es waren keine Polizisten zu sehen.
Sie blieb stehen und studierte die Landzunge, die sich vor ihr erstreckte. Dies musste das Herz des Hafens sein. Das Gebiet war ein paar hundert Meter lang, mit gewaltigen Lagerhäusern zu beiden Seiten. Ganz am Ende, noch hinter den Absperrungen, sah man einen Abstellplatz für Sattelschlepper. Die einzigen Menschen, die sie ausmachen konnte, waren ein paar Gestalten in knallgelben Westen bei den Zugmaschinen.
Sie ging langsam zu den Plastikbändern der Polizei und blickte zu den enormen Silos auf. Obwohl sie festen Boden unter den Füßen hatte, wurde ihr von der Höhe schwindlig. Die Spitzen trafen den Himmel, ohne einen größeren Kontrast zu bilden, Grau auf Grau.
Ihr Blick folgte ihnen, bis ihre Hüfte gegen das zähe Plastik stieß.
Zwischen den Silos gab es eine schmale Fläche, zu der kein Tageslicht hervordrang. Hier hatten die Männer ihr Leben ausgehaucht. Sie zwinkerte in der plötzlichen Dunkelheit, um ihre Augen an das Zwielicht zu gewöhnen, konnte aber dennoch die schwarzen Flecken, die von dem Blut stammten, kaum erkennen.
Die Körper hatten in der Mündung der Passage gelegen, nicht zwischen den Schatten versteckt.
Sie wandte dem Tod den Rücken zu und sah sich um. Reihen von Scheinwerfermasten standen an der Kaikante. Das ganze Hafengebiet dürfte nachts in helles Licht getaucht sein, ausgenommen der Raum zwischen den Silos.
Wenn man jemanden erschießen will, warum lässt man ihn dann mitten im Scheinwerferlicht liegen? Warum schleift man ihn nicht in den Schatten?
Es kommt natürlich darauf an, wie eilig man es hat, dachte sie.
Sie senkte den Blick, stampfte mit den Füßen und blies in ihre Hände, der Matsch spritzte. Scheißwinter. Hinter dem abgesperrten Areal befand sich irgendwo das Requisitenlager des schwedischen Fernsehens.
Sie ging um die Absperrung herum und fror dabei ordentlich, denn der Regen war zwar nicht sehr stark, wurde aber von dem vom Meer kommenden eisigen Wind scharf landeinwärts geweht.
Sie schlug den Schal noch einmal um den Kopf und ging weiter in Richtung Wasser, folgte einem Zaun, der die Grenze zum Baltikum bildete. Ein Ferntransporter, der seine besten Tage hinter sich hatte, stand auf der anderen Seite und spuckte Abgase, sie zog den Schal vor die Nase. Der Zaun endete an einem großen Tor gleich neben den abgestellten Sattelschleppern. Drei Zollbeamte waren gerade dabei, den vorletzten Lastwagen des Tages zu kontrollieren, der letzte war der Umweltsünder hinter ihr.
»Was machen Sie hier?«
Der Mann hatte rote Wangen von der Kälte und trug die Uniform eines Zollbeamten unter seiner gelben Weste. Seine Augen waren klar und fröhlich. Annika lächelte.
»Ich bin nur neugierig. Ich arbeite bei einer Zeitung und habe von den Morden da drüben gelesen«, sagte sie und zeigte über die Schulter.
»Wenn Sie etwas schreiben wollen, muss ich Sie an unseren Pressesprecher verweisen«, sagte der Zollbeamte freundlich.
»Nein, nein, ich schreibe nicht in der Zeitung, ich kontrolliere bloß, ob die anderen auch alles richtig beschrieben haben. Da ist es gut, wenn man auch mal rauskommt und sich umsieht, damit man weiß, ob die Reporter schlampig gewesen sind.«
Der Zollbeamte lachte.
»Ja, da haben Sie sicher viel zu tun«, meinte er.
»Genau wie Sie, nehme ich an«, erwiderte Annika.
Sie gaben sich die Hand und stellten sich vor.
»Ist bald Schluss für heute?«, fragte Annika und zeigte auf das letzte Fahrzeug, das gerade zum Tor vortuckerte.
Der Mann seufzte müde.
»Zumindest für mich«, meinte er. »Es war ein ziemliches Durcheinander hier in den letzten Tagen, mit der Absperrung da hinten und dem allen. Und dann die ganzen Zigaretten.«
Annika hob die Augenbrauen.
»Ist heute was Besonderes passiert?«
»Wir haben heute Morgen einen falschen Kühllastwagen erwischt, der voller Tabak war, im Boden, in der Decke, in den Wänden. Sie hatten die ganzen Isolierungen entfernt und die Hohlräume mit Zigaretten gefüllt.«
»Wie viele waren es denn?«
»In den Boden eines Ferntransporters passen fünfhunderttausend und fünfhunderttausend in die Decke und dann noch einmal genauso viel in die Wände. Insgesamt dürften es also bis zu zwei Millionen gewesen sein, und Sie können mit einer Krone pro Zigarette rechnen.«
»Großer Gott«, sagte Annika.
»Das ist im Grunde gar
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