Paradies
Patienten mit zu hohem Blutdruck. Wir müssen dafür sorgen, dass Ihre Hand behandelt wird und Sie eine Tetanusspritze bekommen.«
Er verließ den Raum, und ein knisterndes Geräusch von statischer Elektrizität war zu hören, als der Kittel am Plastik des Türpfostens vorbeiwischte. Annika setzte sich wieder, wie gelähmt und mit halb offenem Mund, sie bekam keine Luft.
Das darf nicht passieren, nicht mir, nicht jetzt.
Sie blieb sitzen, bis eine Krankenschwester kam und ihren Finger mit drei Stichen nähte, ihr eine Spritze in den Po gab und einen Verband anlegte, der bis über das Handgelenk reichte. Anschließend ging sie wieder in den Warteraum, wobei sie sich mit einer Hand an der überstrichenen Glasfiberwand des Korridors abstützte, während die Krankenhausgeräusche weit entfernt zu sein schienen und die Panik nur notdürftig unterdrückt war.
Ihre Mutter tauchte im Warteraum auf. Sie trug einen altmodischen Nerzmantel, der an den Schultern zu eng saß, redete laut mit der Frau am Eingang. Anschließend ließ sie sich auf den Stuhl neben Annika fallen, ohne ihren Mantel auszuziehen.
»Haben sie etwas gesagt?«
Annika seufzte schwer, kämpfte gegen die Tränen an, streckte die Arme aus und umschlang ihre Mutter.
»Es ist etwas im Gehirn. Oh, Mama, wenn sie jetzt stirbt!«
Sie flüsterte an ihrer Schulter, heulte ihren Pelz voll.
»Wo ist sie jetzt?«
»Beim Röntgen.«
Ihre Mutter machte sich los, gab Annika einen Klaps auf die Wange, hustete, wischte sich mit dem Handschuh über die Stirn.
»Zieh den Pelz aus, sonst wird dir zu warm«, meinte Annika.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte ihre Mutter. »Du denkst, dass das meine Schuld ist.«
Annika sah zu ihrer Mutter auf, sah, wie die Kritik, auf die sie sich eingestellt hatte, eine Abwehrhaltung in ihr Gesicht eingemeißelt hatte. Ihre Wut flammte blitzartig auf.
»Oh, nein«, sagte sie. »Mach mich nicht für deine eigenen Schuldgefühle verantwortlich.«
Ihre Mutter fächelte sich mit der Hand Luft zu.
»Ich habe überhaupt keine Schuldgefühle, aber du findest, dass ich welche haben sollte.«
Annika konnte nicht sitzen bleiben. Sie stand auf und ging zur Aufnahme.
»Wann erfahren wir etwas über Sofia Katarina?«
»Sie können sich setzen und hier warten«, sagte die Frau.
Ihre Mutter hatte den Pelz die Schultern herunterrutschen lassen.
»Weißt du, wo man hier rauchen darf?«, erkundigte sie sich und fingerte an ihrer Handtasche herum.
»Da du schon davon angefangen hast«, sagte Annika, »muss ich gestehen, dass es schon etwas seltsam ist, dass ich sie finde, obwohl ich immerhin 120 Kilometer weit weg wohne. Du wohnst schließlich ganz in der Nähe.«
Sie setzte sich zwei Stühle weiter, lehnte sich an einen Heizkörper.
»Jetzt bekommt man also auch das noch vorgeworfen«, erwiderte ihre Mutter.
Annika sah weg, schloss die Augen und ließ die Wärme durch den Pullover dringen, lehnte den Kopf nach hinten, eine Metallkante schnitt ihr in den Nacken. Die Augen brannten vom Weinen.
»Jetzt nicht, Mama«, flüsterte sie.
»Annika Bengtzon?«
Die Ärztin hatte einen Pferdeschwanz und hielt eine Mappe mit Papieren in der Hand. Annika setzte sich auf, wischte sich hastig die Tränen aus den Augen, sah zu Boden. Die Ärztin setzte sich ihr gegenüber hin und beugte sich vor.
»Die Computertomographie hat genau das ergeben, was wir vermutet hatten«, sagte sie. »Es gab eine Blutung in der linken Hälfte des Gehirns, im Zentrum des Nervensystems. Das wird auch durch die rechtsseitigen Symptome bestätigt und die Tatsache, dass das Auge nicht betroffen zu sein scheint.«
»Ein Schlaganfall?«, fragte ihre Mutter atemlos.
»Ja, ein Gehirnschlag.«
»Oh, mein Gott«, sagte Annikas Mutter matt. »Wird sie wieder gesund?«
»Einige Symptome werden in der Regel wieder schwächer. Aber in ihrem Alter und bei diesem akuten Verlauf müssen wir wohl leider mit recht starken Restsymptomen rechnen.«
»Ist sie jetzt gaga?«, fragte Annika.
Die Ärztin sah sie freundlich an.
»Wir wissen nicht, ob die Blutung Auswirkungen auf ihren geistigen Zustand gehabt hat. Das muss nicht unbedingt der Fall sein.
Die weitere Entwicklung hängt zu einem großen Teil von den Rehabilitationsmaßnahmen ab, die in solchen Fällen sehr wichtig sind.«
Annika biss sich auf die Lippen.
»Wird sie wieder zu Hause wohnen können?«
»Wir müssen abwarten, bis wir das beurteilen können. Im Allgemeinen bessert sic h der Zustand, wenn der Patient zu Hause
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