Paradies
auftauchten.
Während der Ausschussvorsitzende die Sitzung eröffnete, überflog Thomas die Tagesordnung, das Übliche, Kinderfürsorge, Personalfragen, Behindertenfürsorge, mobile Altenpflege. Die Hälfte der Tagesordnungspunkte waren Altlasten, die schon tausend Mal vertagt worden waren und zu denen auch an diesem Abend wohl kaum ein Beschluss gefasst werden würde. Sein Punkt, bei dem es um die explodierenden Kosten im Fahrdienst ging, war als achter dran.
Seine Augen glitten über das Papier, er trank etwas Wasser. Punkt Nummer siebzehn war neu: Vertrag mit der Stiftung
Paradies.
Was war das denn für ein revolutionäres Unternehmen? Glaubten sie wirklich, dass sie im Moment, angesichts der angespannten Haushaltslage, noch weitere Verträge abschließen konnten? Er seufzte so leise wie möglich und wandte seine Aufmerksamkeit den Ausschussmitgliedern zu.
Die Parteidemagogen, der Sozialdemokrat und der Konservative, saßen jeder an seiner Ecke des Tisches, allzeit bereit, ihre Argumente und Vorbehalte in die Waagschale zu werfen. »Die Freiheit des Individuums«, würde der Konservative sagen, und der Sozialdemokrat würde mit »Solidarität« kontern. Bald würde der Wunsch der Politiker nach etwas
Konkretem
zur Sprache gebracht, die Forderung nach einer genaueren
Bearbeitung
ausgesprochen werden, und er würde auf Zahlen und Tabellen verweisen, was niemals irgendjemanden zufrieden stellte.
Perugia, dachte er, in diesem Moment liegt er dort, hockt er auf seinem Berggipfel in Umbrien und beherrscht das umliegende Land.
Er musste über seinen Gedanken lächeln.
Seltsam, dass ich mir die Stadt als einen Mann vorstelle.
»Thomas?«
Der Ausschussvorsitzende sah ihn freundlich an. Er räusperte sich und suchte das richtige Blatt heraus.
»Wir müssen etwas mit dem Fahrdienst machen«, stellte er fest.
»Die Kosten werden wahrscheinlich drei Mal so hoch sein wie die für das laufende Jahr im Haushalt vorgesehene Summe. Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir diesen Anstieg stoppen können, das Gesetz zur Handhabung dieser Frage hilft uns auch nicht weiter. Der Bedarf ist, wenn man ihn nicht einschränkt, jedenfalls uferlos.«
Er referierte Zahlen und Tabellen, Konsequenzen und Alternativen. Der Vorsitzende holte ein Rundschreiben mit neuen Richtlinien des Städte- und Gemeindetags hervor, sie waren mit ihrem Problem offensichtlich nicht allein. Der Städte- und Gemeindetag hatte sich mit dem Thema beschäftigt, seine zentralen Richtlinien waren jedoch wie immer vage und umständlich formuliert. Bald steckte man mitten in einer Diskussion, wie man die Sachbearbeiter zu diesem Thema am besten weiterbilden könnte – sollte man sie zu einem Kurs schicken oder einen Referenten engagieren?
Stiftung Paradies,
dachte er. Schöner Name.
Die Sitzung zog sich in die Länge. Man verhedderte sich in einer weiteren Detaildiskussion, und er wurde immer ärgerlicher. Als dann schließlich Punkt Nummer siebzehn an der Reihe war, beugte er sich vor. Eine der Beamtinnen, eine Sozialarbeiterin, die seit langem in der Gemeinde tätig war, referierte zu dem Thema.
»Es geht um einen prinzipiellen Beschluss darüber, eine neue Organisation mit Dienstleistungen zu beauftragen«, sagte sie. »Es handelt sich dabei um einen Fall, der keinen Aufschub duldet und bereits vom Ausschuss für dringliche Fragen behandelt wurde, aber wir wollten den Vertrag erst mit Ihnen durchgehen, ehe wir ihm zustimmen.«
»Was ist das für eine Stiftung?«, wollte der sozialdemokratische Demagoge misstrauisch wissen, und von da an wusste Thomas schon, wie die Sache ausgehen würde. Wenn der Sozialdemokrat dagegen war, würde sich der Konservative automatisch dafür aussprechen.
Die Beamtin zögerte. Sie konnte auf die Details des Falls nicht eingehen, weil das Protokoll der Sitzung nicht öffentlich war.
»Ganz allgemein kann ich sagen, dass sich diese Organisation darum kümmert, Menschen, die sich mit Morddrohungen konfrontiert sehen, zu schützen«, sagte sie. »Wir sind die Vorgehensweise mit der Geschäftsführerin durchgegangen, und in diesem einen speziellen Fall sind wir der Meinung, dass wir die angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen sollten…«
Alle lasen sich den Vertrag sorgfältig durch, obwohl es nicht besonders viel zu studieren gab. Die Gemeinde Vaxholm verpflichtete sich zur Zahlung eines Pflegesatzes von dreitausendfünfhundert Kronen pro Tag für geschütztes Wohnen, bis eine zufrieden stellende Lösung für den
Weitere Kostenlose Bücher