Paradies
wohnen kann, dann natürlich mit intensiver Pflege. Die Alternative wäre das Wohnen in einem Alters- oder Pflegeheim.«
»Altersheim?«, sagte Annika. »Doch wohl nicht Lövåsen?«
Die Ärztin lächelte.
»An Lövåsen ist nichts auszusetzen. Sie dürfen nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.«
»Ich habe die Artikel geschrieben«, erwiderte Annika.
»Also ich habe nichts gegen Lövåsen«, warf ihre Mutter ein.
Die Ärztin stand auf.
»Sie liegt jetzt noch in der Aufnahme. Wenn ihre Körpertemperatur wieder hoch genug ist, können Sie zu ihr gehen. Es dauert noch ein bisschen.«
Annika und ihre Mutter nickten gleichzeitig.
Thomas zerknüllte die Verpackung des Hamburgers und warf sie in den Papierkorb. Er durfte nicht vergessen, ihn vor dem Nachhausegehen zu leeren, sonst würde es in seinem Büro die ganze Woche nach Imbissbude stinken.
Er lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und starrte das Fenster an. Durch die Dunkelheit draußen reflektierte es das Bild seines Büros, irgendein für die Finanzen zuständiger Sozialverwaltungsbeamter in irgendeiner Welt, identisch mit ihm, wenn auch spiegelverkehrt. Das Rathaus war still, fast alle Beamten waren bereits nach Hause gegangen. Bald würden sich die Mitglieder des Sozialausschusses im benachbarten Konferenzzimmer versammeln, aber noch war es ruhig. Er war eigenartig zufrieden, fühlte sich frei und hatte seine Ruhe. Er hatte die Arbeit vorgeschoben, als Eleonor vom Abendessen sprach, was zwar nicht gelogen, letztlich aber auch nicht die ganze Wahrheit war. Um diese Zeit des Jahres hatte er immer viel Arbeit, aber nicht mehr oder kompliziertere Vorgänge als sonst auch. Früher hatte ihn das nie daran gehindert, zum Essen nach Hause zu gehen. Die Abendessen waren ihnen heilig. Vorspeise, Hauptspeise, Eleonor aß nie einen Nachtisch. In der dunklen Jahreszeit zündete sie immer Kerzen an und deckte den Tisch mit gebügelten Servietten. Er hatte das stets geschätzt.
Sie hatte es geliebt und ihren gemeinsamen Freunden oft davon erzählt. So romantisch, so fantastisch. Sie waren solch ein perfektes Paar,
a match made in heaven.
Nein, dachte er, nicht im Himmel, in Perugia.
Er konnte nicht mehr sagen, wann sich die Tristesse eingeschlichen hatte. Das Gefühl einer gewachsenen Wirklichkeit versank, und etwas anderes, Wahreres trat an ihre Stelle. Sie waren nicht erwachsen, sie spielten erwachsen. Sie segelten, luden zum Abendessen ein, engagierten sich im Vereinsleben. Vaxholm war ihre Welt, die Entwicklung und der Erfolg des Orts und der Gemeinde ihr großes Interesse und ihre Ambition. Sie waren beide hier geboren und aufgewachsen, hatten niemals woanders gelebt. Niemand konnte behaupten, dass sie im sozialen wie im Arbeitsleben keine Verantwortung übernahmen.
Aber wenn es um ihre eigene Beziehung ging, stand es mit der Verantwortung nicht zum Besten. Sie benahmen sich immer noch wie zwei Jugendliche, die gerade zu Hause ausgezogen waren, spielten romantische Spiele und mussten immer Rücksicht auf ihre Eltern nehmen.
Thomas seufzte. Jetzt war er wieder beim Thema. Eltern.
Eleonor wollte keine Kinder. Sie liebte ihr Leben, ihr gemeinsames Dasein, die Abendessen, die Reisen, ihre Karriere, ihre Aktien, die Nachbarn, das Vereinsleben, das Boot.
Ich muss meine Weiblichkeit nicht auch noch dadurch bestätigen, dass ich ein Kind bekomme, hatte sie gesagt, als sie sich das letzte Mal darüber gestritten hatten. Das ist mein Leben, und ich mache damit, was ich will. Ich will Spaß haben, Leute treffen, im Job vorankommen, mich auf uns konzentrieren und auf das Haus.
»Wir könnten jetzt anfangen.«
Der Verwaltungsdirektor stand in der Tür und blinzelte verwirrt.
»Natürlich, ich komme.«
Er suchte rasch und ein wenig verlegen seine Papiere zusammen.
Er war sich bewusst, dass er zerstreut war, und fragte sich, ob das sehr auffiel.
Die elf Ausschussmitglieder hatten um den Tisch herum Platz genommen, und er setzte sich neben den Schriftführer des Ausschusses ans Kopfende, wo auch der Ausschussvorsitzende saß. Die Leiter der einzelnen Arbeitsbereiche saßen nebeneinander an einer Längsseite, ein paar Beamte waren auch anwesend. Die Tagesordnung bestand aus etwa zwanzig Punkten, die meisten davon gingen ihn nichts an. Der nächste Etat sollte bei einer zweitägigen Klausurtagung in einem Hotel durchgegangen werden, heute würde er nur zu ein paar kleineren Punkten referieren und darüber hinaus für den Fall anwesend sein, dass Fragen
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