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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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schade.«
    Drobina heißt nicht wirklich Drobina. Es ist ein Spitzname. Sie heißt Hana. Ich nenne sie seit Jahren »Drobina«. Das heißt übersetzt »Krümel«. Weil sie als Kind so zarte, feine Glieder hatte. Als würden sie auseinanderfallen oder brechen, eben wie die Krümel eines alten Brotes. Die zarten Glieder wurden mit der Zeit muskulöser, der Spitzname blieb.

SCHWINGENDE DISCOBEINE
    Kommst du heute zum Training?«, fragt sie mich.
    Es läutet wieder, die Pause ist zu Ende. Physik ist dran, mein Albtraumfach.
    »Ja, unbedingt. Ich muss so tun, als wäre nichts, verstehst du?«
    Ich gehe nach Hause, in der Tasche zwei Fünfer. Ich denke, meine Mutter wird mir das verzeihen, sie wird verstehen, dass es nicht mehr darauf ankommt, gute Noten nach Hause zu bringen. Jetzt werde ich müde, während ich meine Füße beobachte, wie sie ununterbrochen die gleiche Bewegung machen. Sie schreiten. Viele Straßen entlang. Jeden Tag dieselben Straßen. Ich möchte mir die Augen reiben, wie ein kleines Kind es vor dem Schlafengehen tut, darf aber nicht. Meine Mascara hindert mich daran. Und das Make-up, mit dem ich heute die besonders dunklen Augenringe überschminkt habe. Mein Freund, mein Tanzverein, der Hund, Großmutter, Großvater, Georges, meine Cousine, mein Schauspiellehrer und auch der Direktor des Gymnasiums – was werden die ganzen Menschen und Tiere dazu sagen, wenn ich nicht mehr da bin?
    Es ist sechs Uhr abends, das Modern Dance Training beginnt. Auch mein Freund schwingt dort seine X-Beine, allerdings in der letzten Reihe. Und meine etwas mollige Cousine Trubka darf nur deshalb hin, weil ich so gut tanze. Ich habe ein gutes Wort für sie eingelegt. In den letzten zwei Jahren haben Drobina und ich uns an die Spitze des Pùerover Tanzvereins getanzt. Wie die Soldaten in einer Elite-Kampftruppe fühlen wir uns. Welch ein Privileg, da mitmachen zu dürfen. Unser Tanzverein ist eine harte Schule, wie alles hier in diesem Land, was mit Sport oder Kunst zu tun hat. Professionell, dreimal die Woche. Ohne Wenn und Aber! Tanzwettbewerbe in unzähligen Städten der ganzen Tschechoslowakei sind Routine. Die Choreografie ist raffiniert, jede Bewegung muss sitzen, die Kostüme werden zwar dilettantisch, aber voller Hingabe von uns persönlich genäht. Gewichtsschwankungen werden mit Rausschmiss oder Diät bestraft. Der makellose Körper gilt als Muss – in unserem Knödelland keine leichte Aufgabe. Der Leiter und Choreograf des Vereins schimpft zwar ununterbrochen, dass wir Faulpelze und untalentierte Schwerärsche seien, lächelt aber dann zufrieden, wenn wir mit einem Pokal wieder im Bus sitzen.
    Bei einem meiner ersten Wettbewerbe lernte ich einen hübschen Jungen kennen, 18 Jahre alt, mit einem lockigen Wuschelkopf. Ein Roma. Überraschend hellhäutig. Die Tanztruppe, der er immer noch angehört, galt als eine der besten für Break Dance in ganz Mähren. Das imponierte mir. An diesem einen Abend gewannen weder die Break Dancer noch wir Popper aus Pùerov. Das störte mich keineswegs. Im Gegenteil. Die Verlierer hatten Freizeit, die Gewinner nicht! Ich brauchte die Zeit. In einem nahe liegenden Busch geschah es dann, nicht viel, ein bisschen knutschen und fummeln. Er wollte mehr, ich hatte Angst, gesehen zu werden, so gab ich ihm dezent einen Korb. Er bedauerte es, versuchte es immer wieder, jedoch ohne mich zu nötigen. Ich war bereit, diesen sanften Menschen, der so wunderbar tanzte, zu heiraten und mit ihm eine Familie zu gründen. Mein Herz klopfte an diesem Abend nur für ihn. Und er? Weiß ich nicht so richtig. Er sagte nicht viel. Unwesentliches Zeug. Ich fragte nicht nach seiner Meinung, ging davon aus, dass er mich auch mochte. Zwei Jahre lang betrog ich meinen Freund, der an den Wettbewerben nicht teilnehmen durfte, weil er nicht besonders gut war, mit dem wunderbaren Tänzer aus Brünn. Eine wortkarge Affäre. Moral war mir egal. Obwohl ich meinen Freund liebte, wollte ich auf den Break Dancer nicht verzichten. Solange mein Freund nichts ahnte, waren alle zufrieden.
    Mein Tanzlehrer holt mich zurück ins reale Leben.
    »Lenka, was ist heute mit dir los? Reiß dich zusammen. Wenn du die Drehung wie eine Taube auf dem Turm machst, macht es der Rest nach, schon klar, oder?«
    »Entschuldigung.« Wir wiederholen zum zigsten Mal die Choreografie. Es gibt ständig weitere Patzer und Ungenauigkeiten. Auch das ist jetzt egal.
    Ich mag die Musik mit den kräftigen Beats, zu der wir tanzen, sehr gerne. Unser

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