Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
Vom Netzwerk:
nicht kennen möchte.
    Ich stelle mir papaláš’ Schätze vor: volle Schalen mit Trauben und Bananen, westliche Kleidung, Kakao, Spaghetti, West-Schokolade, LPs mit West-Musik, Otto-Kataloge, Bravos, Kaba mit Erdbeergeschmack, Fa-Seifen, West-Kaugummis und so weiter. Manche papaláši sind so verblödet, dass sie sich den sowjetischen Stern auf dem Klo aufhängen, und auf dem Boden liegt ein Stapel Bravo -Zeitschriften. Und zwar auf einem roten Deckchen, weil sie so kostbar sind. Das harmoniert hervorragend mit dem Rot des Sterns. Man kann gleichzeitig den Stern und die Bravo -Zeitschriften bewundern. Nur anschauen! Lesen kann die Bravo -Zeitschriften keiner. Sie sind nicht in Russisch, sondern in Deutsch! Und wer kann schon genug Deutsch, um einen Artikel in der Bravo zu lesen? Keiner! Schließlich haben wir in der Schule wöchentlich nur eine Stunde Deutsch. Erbärmlich. Das reicht nicht mal für einen Bravo -Artikel. Aber für die komanços ist es besser so. Das Volk soll nicht lesen. Das Volk soll nicht alles verstehen. Das Volk soll träumen, schweigen und gehorchen.

IN PRAG GAB ES NEUE KONSERVEN
    Nach dem Desaster in Brünn versuchte ich es ein Jahr später am Prager Konservatorium. Dafür lernte ich zusätzlich auf die Schnelle Flötespielen. Gitarre fand ich zu schwierig. Es sei denn, man spielte miserabel und war damit zufrieden. Das Flötespielen, so riet man mir, geht schneller, man erweckt eher den Eindruck der Könnerschaft, und man kann lange Fingernägel behalten. Ich trug zwar keine langen Fingernägel, ich kaute sie ab, war aber felsenfest davon überzeugt, bald damit aufzuhören.
    Am Prager Konservatorium war das Beherrschen eines Musikinstruments Pflicht. Ich war schlecht darin. Langweilig war es auch noch. Von beherrschen konnte selbstverständlich keine Rede sein, aber ich hoffte aus irgendeinem Grund, Glück zu haben und durchzukommen. Der Dozent bekam wahrscheinlich in der halben Stunde, in der ich dran war, einen Migräneanfall. Ich brachte es gerade zu ein paar einfachen Liedern, bei denen ich einigermaßen vertuschen konnte, wie dilettantisch ich spielte.
    Bei der Improvisation ging es auch noch. Ich sollte ein fallendes Blatt im Herbst darstellen. So flatterte ich von einer Ecke des Raumes in die andere und mimte die Leichtigkeit eines Blattes. Möglicherweise nicht besonders gut. Danach folgte eine Wunderkerze, bei der ich über mich selbst lachen musste. Sie unterbrachen mich und sagten, ich könne mich auf dem Flur beruhigen und die kostbare Zeit anderen Bewerbern überlassen. Die dritte Improvisationsaufgabe war ein Keks unter der Fußmatte. Diesmal lachte die Prüfungskommission allerdings mit, denn solch eine Aufgabe kann man nicht ernst nehmen. So was sieht immer grotesk aus.
    Mein zweites Desaster nahm seinen Lauf. Der »Willie«-Monolog brach mir endgültig das Genick. Mit knirschenden Zähnen sprach ich den verhassten Text vor, fuchtelte mit dem Regenschirm herum und tat so, als würde ich Eisenbahngleise entlangbalancieren, wie es in der Regieanweisung stand, als die Kommission einschritt: »Frau Hrózová, ist Ihnen bewusst, was Sie uns da vorspielen?« Dabei stöberten sie wichtig in meinen Unterlagen.
    »Was meinen Sie denn?«, erwiderte ich.
    Die Hand, in der ich den Regenschirm hielt, sank kraftlos zu Boden. Ich wusste, dass ich den Schirm nicht mehr brauchen würde.
    »Ist Ihnen klar, wer der Autor ist, dessen Monolog Sie uns vortragen?«
    »Ich verstehe nicht.« Natürlich verstand ich.
    »Ist Ihnen bewusst, dass Tennesee Williams ein Amerikaner war?« Die Dame sprach das Wort »Amerikaner« extra langsam und deutlich aus. Ich schwieg, nickte. Was hätte ich sagen sollen? Nein, ich dachte, er war Vietnamese? Niemand sagte etwas. Stille. Ich sah sie nicht an, mein Kopf hing herunter wie der eines Schafes, das zur Schlachtbank geführt wird. Ich starrte zu Boden. Ich hatte Angst, in Tränen auszubrechen. Vor ihnen. Die Blöße wollte ich mir nicht geben.
    »Ich denke, Sie können gehen. Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Frau Hrózová. Auf Wiedersehen«, sagte eine andere, ältere Dame mit Brille, die in der Mitte der Reihe saß.
    Ich ging kleinlaut hinaus. Ich sagte nichts, jedes weitere Wort hätte die Lage noch verschlechtert. Möglicherweise würden sogar meine Mutter und mein Schauspiellehrer Schwierigkeiten bekommen. Meine Mutter kannte das ja schon. Sie lief ständig mit gesenktem Blick herum.
    Da wurde es mir klar. Wir müssen abhauen!

NEBEN DIR SITZT DANA
    Der

Weitere Kostenlose Bücher