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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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tun? Nebenbei arbeitet sie auf irgendeinem Amt, keine Ahnung, wo genau. Sie überbringt uns wichtige Post, liest sie und erledigt bürokratisches Zeug für uns. Sie ist quasi der Gegenpart zur korpulenten Chefin, die uns nicht riechen kann und deren Namen ich noch immer nicht weiß, allein schon, weil ich nicht an sie erinnert werden möchte. Frau Schmidt und die dicke Chefin hassen sich. Manchmal kommt es zu Zwischenfällen. Frau Schmidt verteidigt uns so tapfer mit ihrem angeborenen Bayerisch, dass ihre Gegnerin ins Stottern gerät. Sie ist großartig. Ohne Frau Schmidt wäre selbst das Sichlangweilen und Zeittotschlagen im Lager, das Kochen, Essen, Waschen, Sprechen, Leben, Atmen verboten. Die Hexe würde uns am liebsten das Sein verbieten.
    »Die werden uns doch nicht trennen, Mama! So ein Quatsch. Warum sollten sie?«
    »Na ja, mich wollen sie halt nach Hause schicken. Ich bin zu alt und uninteressant. Hab diesem verdammten Land nichts zu bieten, im Gegensatz zu dir.«
    Sie sinkt auf ihrem Stuhl völlig zusammen, und ich sehe ihr an, wie verzweifelt sie ist. »Ich wusste, dass es keine gute Idee war, zu emigrieren. Jetzt wollen sie dich allein hierbehalten.«
    Sie schluchzt. Ich bin ratlos, es fällt mir in diesem Moment nichts ein. Ich stehe da wie ein Baum und schaue meine unglückliche Mutter an, am liebsten würde ich mich ohrfeigen für das, was ich ihr angetan habe. Ich knie mich vor ihr hin und umklammere ihre Beine.
    »Du irrst dich, Mama. Das ist nicht wahr. Was erzählst du? Du bist genauso wichtig wie ich, wie alle anderen.«
    »Frau Schmidt meinte, dass es kein gutes Zeichen ist.«
    »Ist Frau Schmidt Gott, oder was?«
    »Sie kennt sich aus.«
    »Und auf einmal hast du verstanden, was sie sagt? Wie denn?«
    »Sie hat es mir mit Händen und Füßen klargemacht. Das würde auch der letzte Idiot verstehen.«
    Mir ist sehr bang ums Herz. Sie tut mir so schrecklich leid. Wie sie da sitzt.
    »So ein Analphabet bin ich auch wieder nicht«, murmelt sie noch nachträglich in ihr Taschentuch.
    Die Tränen, die ununterbrochen an ihrer schönen, kleinen Nase entlangfließen, tropfen auf ihre Hose, weil sie so gekrümmt dasitzt. Das Gesicht ist rot, und bestimmte Gesichtspartien zittern leicht. Sie weint ganz still, kaum zu hören. Unser Kartenhäuschen ist komplett zusammengefallen.
    »Maminko, mamineçko, niemand wird uns trennen. Kein Mensch auf der ganzen Welt. Das verspreche ich dir. Ich werde bei dir bleiben, hab keine Angst, ich lasse dich nicht alleine nach Hause gehen! Und wenn es nicht anders geht, gehe ich mit dir zurück. Dann gehen wir eben wieder nach Hause. Hab nur keine Angst. Hab keine Angst. Ich werde dich niemals verlassen!«
    »Ich versaue dir deine Zukunft.«
    Sie schluchzt so stark, dass der Satz kaum zu verstehen ist, es ist grotesk, wäre dieser Moment nicht so entsetzlich traurig, hätten wir beide sicherlich darüber gelacht.
    »Was für eine Zukunft? Ich hab hier ohne dich keine Zukunft.«
    Wir sitzen eine Weile da und weinen. Es gibt nichts zu sagen. Wir wissen beide, dass wir uns nicht irren, dass Mutter nicht mit im Boot sitzt.
    Ich bin ganz ruhig, lege wie ein kleines Kind meinen Kopf auf ihren Schoß. Ich fühle mich geborgen, ich denke, diese Geborgenheit kann nur eine Mutter geben. Ihre Hose ist an der Stelle, in die ich mein Gesicht vergrabe, von meinen Tränen nass und schmutzig von meiner Wimperntusche.

DIE NACHBARIN
    Nach einigen Wochen kehrt die verprügelte Mutter, die neben uns gewohnt hat, zurück. Ihre Kinder sind überglücklich, und das zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Die gebrochene Nase wurde aufgestellt, sieht eigentlich ganz gut aus, nur eine leichte Schwellung am Kiefer ist noch zu erkennen sowie die gelben Male auf der Haut, die erst blau, dann violett und nun gelb geworden sind.
    Ihr Mann ist noch nicht zurück, und es wird noch eine Weile dauern, bis ihn die deutsche Polizei an die tschechische ausliefert. Dass sie ausgewiesen werden, ist jetzt schon klar. So ein »Pack« hat hier nichts verloren. In meiner Mutter regt sich völlig unerwartet ein sozialer Zug, was zur Folge hat, dass sie unsere Nachbarin täglich zu sich lockt. Die dunkelhaarige Schöne taut ein wenig auf, und wir erfahren sogar, dass sie Barbora Hejduková heißt.
    »Frau Hejduková, kommen Sie doch mal zu uns. Ich koche Ihnen einen Kaffee! Einen guten tschechischen Kaffee, wie zu Hause. Mit Satz. Was sagen Sie dazu? Frau Hejduková, bringen Sie doch Ihre Kinder mit.«
    Frau Hejduková

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