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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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ein Zug, gibt es keine Möglichkeit, auszuweichen. Man wird zerquetscht wie eine Tomate oder den ganzen Tunnel entlanggeschleift, bis von einem nur noch abgewetzte Hautfetzen übrig sind. Oder man löst sich in Nichts auf. Auch denkbar.« Sie weint plötzlich.
    »Oje.«
    Mutter nimmt einen tiefen Zug, ohne den Blick von Barbora abzuwenden, und umfasst fürsorglich ihre Hand. Immer noch muss ich mich mit dem blöden Kaffee beschäftigen.
    »Nadjo, es war entsetzlich … wir …«
    »Barborko, es ist doch alles gut gegangen, ihr seid alle hier angekommen.«
    »Nein …«
    Sie weint, schweigt. Ich serviere den Kaffee. »Zucker?«
    »Ja.«
    »Was war weiter?«
    Barbora Hejduková sammelt sich, so gut sie kann.
    »Wir wollten es um jeden Preis versuchen. Der Herr Ratgeber, besser gesagt der Herr Klugscheißer, saß in seiner Bude und goss sich die Biere, die wir ihm zum Dank geschenkt hatten, in die Gurgel. Der Dreckskerl.«
    »Hm …«
    Frau Hejduková macht eine abschätzige Bewegung mit der Hand, den Kopf lässt sie traurig hängen. Ihre kleine Tochter holt sich ein paar Müslibrocken aus der Schale.
    »Iss, Ivanko, soviel du willst, Peto, mein Junge, nimm dir das Knabberzeug.«
    »Es war unklar, welcher Zug von welcher Seite kommen würde, die Seiten wechselten ständig. Hin und her, hin und her.«
    Wieder schneidet Barbora Hejduková die Luft, als hätte sie Macheten in den Händen. »Hin und her!«
    »Ich würde lieber durch den Wald flüchten.«
    »Nadjo, beim Tunnel gibt es angeblich keine Grenzposten, hat das Schwein gesagt. Keine Grenzposten!«
    »Ach so …«
    »Hat er gesagt. Wer würde auf die bescheuerte Idee kommen, durch so einen Schlauch zu flüchten! Nackter Wahnsinn.«
    Barbora Hejduková macht immer wieder ellenlange Pausen, als hätte sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Mutter und ich wechseln oft Blicke, wagen es aber nicht dazwischenzugehen. Sie merkt nichts. Ihr schönes Gesicht ist auf einmal aufgedunsen, rot, apathisch, genau wie vor einigen Wochen, als sie mit gebrochener Nase auf der Trage lag. »Ivanka und Peta sind noch zu klein, sie konnten nicht schnell genug laufen. Wir haben sie tragen müssen. Die Flucht musste deshalb in Etappen geschehen. Karel, mein Mann, war der Erste. Er klemmte sich Peta unter den Arm und wartete die erste Zuglücke ab. Das sah lustig aus. Wie ein Wurm hing er unterm Arm meines Mannes. Wir hielten uns im Gebüsch verborgen. Dann konnte es losgehen.«
    »Wieso in Etappen?«, frage ich. »Zwei Kinder, zwei Eltern? Konntest du Ivanka nicht tragen?«
    »Doch, die schon …«
    »Leni! Lass Barborka erzählen, um Himmels willen«, sagt meine Mama.
    »Die Züge fuhren so oft hintereinander, dass Karel, mit Peta unterm Arm, aus dem Tunnelende heraushechten musste, um unversehrt zu bleiben. Der Zug hätte die beiden beinahe erfasst, die Zeit zwischen den Zügen war viel zu kurz. Er wusste es, ich nicht. Er konnte es mir auch nicht sagen. Wie denn? Er wusste, dass ich mit Ivanka unverzüglich folgen würde. So war es ja abgesprochen. Er schrie, wir sollen bleiben, ich habe nichts gehört.«
    »Großer Gott«, sagt Mama.
    Barbora Hejduková umklammert erneut ihre Ivanka auf dem Schoß und drückt sie so fest, dass ich kurz davor bin, ihr zu sagen, sie solle sie loslassen, sie bekomme ja keine Luft mehr.
    »Ich wartete noch eine Weile auf der tschechischen Seite, im Versteck, bis der nächste Zug vorbeikam.«
    Sie schweigt wieder. Mir geht das Getue langsam auf die Nerven. »Der Dreckskerl. Es hieß zwar, dass in dieser Region keine Grenzposten stationiert seien, das bedeutet aber nicht, dass es keine Patrouillen gibt. Mareçek sollte alleine im Versteck warten, bis ihn Karel holen würde.«
    »Was für ein Mareçek?«, fragen wir beide gleichzeitig.
    »Mareçek. Mein Sohn.«
    Mutter und ich schauen uns irritiert an. Barbora schnappt hektisch nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    »Alles läuft nach Plan, habe ich Mareçek gesagt. Du wartest hier im Gestrüpp, bis dich der Papa holt, ja? Ja? Nein, hat er gesagt. Ich daraufhin: Wie nein?«
    Frau Hejduková befindet sich bereits in Trance. »Er wieder: Nein, Mami! Mareçku, du kannst dich darauf verlassen, dass dich der Papi holt, sei brav und warte hier ganz still! Ich muss Ivanka auf die andere Seite tragen! Nein, ich will nicht, sagt er. Mein kluger Junge. Er wusste alles. Alles. Ich schrie ihn an, beschimpfte ihn. Mareçku, das hier ist sehr ernst, was wir hier machen! Verdammt noch mal! Du musst Mami zeigen,

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