Paradiessucher
sprechen schnell und ich kann nicht mithalten. Der Dialekt klingt ein wenig anders, er ist wohl hochdeutscher als das Berchtesgadener Bayerisch, ein Bayerisch, das an das Bellen einer Dogge erinnert. Nein, das Erdinger Bayerisch ist flinker und keifender.
Im Flur sind in einer wieder beängstigenden Exaktheit rote, glänzende Fliesen verlegt, die wahrscheinlich täglich abgewischt werden. Mich wundert, dass Chris und seine Verwandten ihre Straßenschuhe anbehalten. Ich war nämlich gerade dabei, meine Turnschuhsenkel zu öffnen, als ich feststellte, dass ich die Einzige war. Die drei gingen einfach hinein, ohne sich darum zu scheren, ob einer von ihnen gerade in Hundescheiße getreten ist. Wo ist da die Logik? Natürlich … hier gibt es keinen Hundekot, beruhige ich mich, und binde die Senkel wieder zu.
Zu Hause wäre es undenkbar, mit Straßenschuhen eine Wohnung zu betreten. Selbst das Ausziehen der Straßenschuhe muss draußen im Hausflur stattfinden. Die Schuhe werden nicht in der Wohnung deponiert, sondern in einem selbst gebastelten Schuhschränkchen auf dem Hausflur, wo jeder Fremde Zugang hat. Es gibt aber keine Jil Sander-, Miu Miu- oder Budapester-Schätze zu stehlen, und daher auch keine Angst, dass sie entwendet werden könnten. Wer würde sich an ein Paar abgetragener Spartakiadentreter oder fader Plastikpumps ranmachen, die außer einer Pilzinfektion und Käsegeruch nichts zu bieten haben?
Trotzdem ist es ein Paradox. Wie schaffen sie es, den Boden im ganzen Haus so sauber zu halten, wenn sie gleichzeitig so schlampig mit Schmutz umgehen? Ihr Geheimnis wird gelüftet. Sie haben eine Putzfrau, die zweimal die Woche alles blitzblank poliert.
Ich bin vor den Kopf gestoßen. Zu Hause käme solch ein Luxus nicht infrage, obwohl meine Mutter nicht schlecht verdient hat. Es ist einfach nicht üblich. Dann höre ich den nächsten Hammer: Die Putzfrau ist eine Polin. Es ist wohl immer eine Polin. Haben denn die Ostblockfrauen nicht mehr drauf, als bei reichen Familien die Reihenhäuser abzustauben? Der Onkel und die Tante erzählen enthusiastisch, dass Ostblockfrauen hervorragende Putzfrauen sind. Das ist mir allerdings bisher verborgen geblieben. Im Lager erlebe ich sie durchaus als putzscheu.
Mutter und ich haben schon mal in einem Büro geputzt. War ein netter Nebenverdienst und eine absolute Ausnahme. Ich habe das Gymnasium beinahe absolviert, möchte studieren, und Mutter kann Eifeltürme aus Haaren bauen. Wieso sollten wir all das aufgeben? Gehen Polinnen nicht in die Schule? Sicherlich haben sie auch einen Schulabschluss. Wieso lassen sie sich auf diese schlecht bezahlte Arbeit ein?, geht es mir durch den Kopf, während ich die Frisur der Tante unter die Lupe nehme. Ein Haarschnitt, der es schafft, eine Frau in ein geschlechtsloses Wesen zu verwandeln. Ein Neutrum. Oben kurz, noch kürzer unten am Hals. Die obere Hälfte sieht mir nach einer selbst gemachten Dauerwelle aus, die die Haarstruktur zu einer Krause versaut, die untere Hälfte erinnert an einen Igel. Farbe: grau. Der Onkel beschäftigt sich dafür mit seiner Frisur gar nicht, er besitzt kein einziges Haar mehr auf dem Kopf.
Die Tante heißt Gertrud und der Onkel Jürgen. Das ist das nächste Problem. Zwei hochkomplizierte Namen, die ich ohne Versprecher nicht aussprechen kann. Da ist für mich das Wort »Landratsamt« schon geschmeidiger. Ich versuche die direkte Ansprache zu vermeiden. Andere Sprachfallen auch. Zum Beispiel ist der Vokal Ü der Fiesling überhaupt. Der kommt im Tschechischen gar nicht vor, genauso wenig wie Ö und Ä. Diese Vokale machen sich über mich lustig, ich mache kurzen Prozess mit ihnen und verallgemeinere sie zu einem einzigen E-A-U. Das im Gaumen rollende R führt in meinem Mund zu einer Art Explosion, deshalb versuche ich Wörter mit den oben genannten Gemeinheiten zu meiden und spreche lieber gar nicht.
Chris stellt mich höflich vor, Gertrud und Jürgen führen uns ins Dachgeschoss, wo sich unser schnuckeliges Zimmerchen befindet. Worüber die ganze Zeit gesprochen wurde, kann ich wirklich nicht sagen. Ich verstehe nur Bruchstücke.
Da ich ausschließlich mit dem Auge wahrnehme, offenbaren sich mir die Gewohnheiten, Launen, Rituale und Sitten unserer Gastgeber wie von selbst. Es ist interessant zu beobachten. Vielleicht liegt das gerade an der Sprachbarriere. Wortspiele, Phrasen und Papierkorbsätze vernebeln nicht meinen Geist. Ein Spürhund bin ich, der die Außenwelt aus einer anderen Perspektive
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