Paradiessucher
zögert eine Weile und nickt dann. Ihre zweijährige Tochter hält sich an der Mutter fest. Frau Hejduková setzt den Korb mit nasser Wäsche auf dem Boden ab.
»Warten Sie, ich sage Peta Bescheid, dass ich hier bin.«
Frau Hejduková verschwindet in ihrem Zimmer. »Oh, er ist ja nicht da. Er wird bei den anderen Kindern sein. Frau …«
»Hrózová«, ruft meine Mama sanft, damit Frau Hejduková ja nicht ihren überraschenden Entschluss ändert.
Es werden langweilige Förmlichkeiten ausgetauscht, ich bin kurz davor abzuhauen. Doch dann …
»Wissen Sie, Frau Hrózová, mein Mann und ich hatten eine schreckliche Flucht, seitdem kommen wir nicht mehr miteinander klar.«
»Oje.«
»Unsere Kleinen sind nicht mehr das, was sie davor waren, wissen Sie, traurig, ach, wie soll ich es Ihnen erzählen …«
»Ach, erzählen Sie, Frau Hejduková, und überhaupt, wollen Sie mich nicht Nadja nennen? Ich bin Nadja«, sagt meine Mutter und reicht ihrer Nachbarin die Hand. Frau Hejduková reagiert positiv, fast glücklich, und reicht meiner Mama ebenfalls die Hand.
»Barbora.«
»Wollen wir uns duzen? Barborko?«
»Na gut. Nadjo.«
Die Frauen lächeln sich an, ich werde gar nicht registriert. Es ist gut so, denke ich, zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass meine Mutter eine Seelenverwandte findet. Dass es aber ausgerechnet Barbora Hejduková sein würde, hatte ich nicht erwartet.
»Barborko, warum tun Sie sich so schwer, warum meiden Sie jeden Kontakt? Das alles wegen der Flucht? Ich habe schon so viele Anläufe gemacht, und es ist mir nie gelungen …«
»Aber jetzt ist es Ihnen doch gelungen … dir gelungen«, korrigiert sich Barbora Hejduková.
»Ja, das stimmt. Und ich freue mich so sehr.«
»Ich freue mich auch.«
Frau Hejduková drückt fest ihre Tochter, die auf ihrem Schoß sitzt, und küsst sie ungestüm auf Nase und Auge. Das ist wohl ihr Ausdruck von Freude. Die Kleine bekommt kurz keine Luft.
Es klopft an der Tür.
»Peto, mein Gold, komm doch zu uns, setz dich, mein Herz.«
Peta steht unschlüssig da, seine Ärmel sind so in die Länge gezogen, dass man seine Hände nicht sehen kann, er spricht sehr leise, man kann ihn kaum verstehen. Peta schiebt sich schüchtern vorwärts und sucht hinter der Sessellehne von Barbora Hejduková Schutz. Meine Mutter greift ein.
»Komm, Peto, steh doch nicht so ungemütlich da wie ein Ypsilon, setz dich drüben auf die Matratze. Leni, mach doch mal Platz. Kannst du uns den Kaffee machen, Leni? Bitte.«
Die Augen meiner Mutter durchbohren mich, als Komplizin weiß ich, was das heißt. Nämlich, dass ich ohne Murren den Kaffee kochen soll, sie weiß nur zu gut, dass ich es hasse, Kaffee zu kochen, zumal ich selber keinen trinke. Da ich aber ahne, dass sie unheimlich scharf darauf ist, die geheimnisvolle Fluchtgeschichte zu erfahren, setze ich mich in Bewegung. Auch ich bin neugierig.
»Wir sind durch einen Tunnel geflohen.«
»Oje.«
DER HORRORTRIP
»Wer hat euch denn das geraten?«
»Ein entfernter Verwandter.«
»Eine Flucht durch den Tunnel …«
Frau Hejduková schaut mit leerem Blick in die Ecke, lacht kurz verächtlich auf. »Keiner kontrolliert in dieser Gegend. Angeblich. Sagte er.«
»Woher wusste er das?«, frage ich.
»Der Verwandte?« Frau Hejduková erwacht aus ihrer Trance.
»Er selber war durch den Tunnel gegangen, allerdings durch einen anderen. Von Jugoslawien nach Österreich. Er kam aber nach einigen Tagen wieder zurück.«
»Warum das denn?«, frage ich.
»Ist doch egal!«, faucht mich meine Mutter an.
»Es wird bei dem Tunnel ebenso funktionieren, ein Tunnel ist ein Tunnel, egal, ob in Jugoslawien, der Tschechoslowakei oder in Honolulu, hat er gesagt.«
Frau Hejduková gestikuliert wild mit den Händen. Eine unerwartete Geste. »Monatelang haben wir recherchiert und gerechnet, Auskünfte gesammelt, Pläne gezeichnet, die Intervalle der fahrenden Züge gemessen und weiß der Geier was noch …«
»Mit deinen Kindern?«, fragt meine Mama.
»Ja. Mit meinen kleinen Kindern. Das machte die Sache so beschwerlich.«
Meine Mutter zündet sich sofort eine an. Der Raum ist so klein, da haben wenigstens alle was davon.
»Und weiter?«
»Dieser schwarze, ellenlange Tunnel bestand nur aus einem Gleis. Könnt ihr euch das vorstellen?«
Frau Hejduková verdeckt ihr Gesicht mit den Handflächen, als wollte sie sich vor der Vorstellung schützen, die sie überfällt. »Aus einem einzigen engen Schienenpaar. Eng wie der Zug selbst. Fährt
Weitere Kostenlose Bücher