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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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betrachtet. Kleinbürgertum, Spießigkeit, Selbstgerechtigkeit treten deutlich zutage. Diese Eigenschaften sind mir nicht unbekannt, weiß Gott, davon kann ich ein Lied singen. Allerdings sind die Tschechen gemäßigte Betonköpfe.
    In der Tschechoslowakei ist so ziemlich alles legerer. »Was du heute nicht schaffst, machst du morgen« oder »Wer trinkt, stirbt, und wer nicht trinkt, stirbt auch« oder »Lass die Zeit verstreichen, warte bis morgen«, »Lass uns erst mal ein Bierchen trinken«, »Schlafe eine Nacht drüber«, »Geh damit schwanger«. Das sind die liebsten Grundsätze der Tschechen. Bloß kein Ehrgeiz! Aber wehe, wenn du gegen den Strom marschierst, dann lynchen sie dich!
    In Erding muss das Frühstücksei, das perfekt im Eierbecher eingebettet ist, exakt an derselben Stelle stehen wie am Morgen davor. Das Geschirr hat blitzblank zu sein. Die Gästehandtücher werden jeden Morgen an den Gästehaken gehängt. Ich war zu schlampig, es muss jemand sehr früh morgens korrigiert haben. Vor jedem Essen wird gebetet, ich weiß nicht, was und warum, ich mache mit, um keine Debatte über Gott zu entfachen. Ich bewege also artig die Lippen und mache auf religiös. Den ganzen Tag dröhnt der deutsche Schlager aus dem Küchenradio, und Jürgen hat eine Vorliebe für weiße Socken. Jürgen und Gertrud fassen sich nie an. Auch das Einanderwahrnehmen fällt ihnen schwer.
    Es wird auch nicht gerne gesehen, wenn ich Chris berühre (obwohl mir oft danach ist).
    Kein Fleckchen auf der Tischdecke. Perfekt. Eine gute, teure Spülmaschine blubbert ununterbrochen in der Küche. In der Tschechoslowakei kenne ich niemanden, der eine Spülmaschine besitzt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die meisten Pùerovaker nicht wissen, dass so ein Gerät überhaupt existiert. Ein Farbfernseher mit einer Fernbedienung? Wahnsinn! Ein Hightech-Gerät.
    Wenn ich das Mutter erzähle. Mutter hat sich immer für Technik begeistert. Unser Farbfernseher im Asylantenlager, den wir auf der Straße gefunden haben und auf den sie sehr stolz ist, funktioniert weit besser als unsere Schwarz-Weiß-Kiste in Pùerov, die wir vor Jahren für teures Geld im Prior erstanden haben.
    »Mama, das Essen ist total anders«, werde ich ihr als Erstes berichten. »Salzige Kanonenkugeln alias Semmelknödel bereiten sie zu, nix dicke Stange, die in runde Scheiben geschnitten wird, wie es bei uns üblich ist.«
    Mama liebt Knödel, so wie 99 Prozent der tschechischen Bevölkerung auch.
    »Die deutschen Knödel sind aus einem anderen Material, Mutter. Aus Semmeln. Dementsprechend sehen sie fleckig aus. Da wirst du blöd im Kopf.«
    Vladka, unsere ehemalige Nachbarin in der Siedlung, quälte sich Tag für Tag mit den Knödeln. Denn ihr Mann konnte nicht ohne. Er fraß mindestens zwanzig Stück am Tag. Und sie hasste sie mittlerweile, weil sie viel Arbeit machen und nicht immer gelingen. Allerdings habe ich nie erlebt, dass ihre Knödel nicht gelungen sind. Sie waren immer köstlich. Die Knödel meiner Mutter dagegen erinnern leider an Wackersteine. Zu viel Mehl. Sie solle mit Mehl sparen, sagte ihr Opa bereits vor Jahren, doch Mutter lässt sich nichts sagen und nervt uns nun mit diesen miesen Knödeln.
    »Doch hier, Mama, können Knödel fertig in einem runden Plastiksäckchen gekauft und direkt gekocht werden. Sie halten im trockenen Zustand ewig. Wir könnten, wenn wir Geld hätten, ganz viele davon kaufen und Jarek und Vladka welche schicken. Genial, nicht?«
    Meine Fantasie findet gar kein Ende.
    Ich ziehe mich langsam und unauffällig aus. Ich schäme mich, vor Chris nackt zu sein, obwohl er mich schon oft nackt gesehen hat. Ich schäme mich trotzdem jedes Mal. Diesmal könnte ich Glück haben. Der Hobbykeller mit integrierter Sauna wird von Gertrud und Jürgen nicht allzu oft benutzt. Es ist ziemlich kalt hier. Chris wird, ohne auf mich zu warten, in die Sauna eilen, deshalb versuche ich Zeit zu gewinnen. In der Sauna finde ich es dann nicht mehr so schlimm, vor ihm nackt zu sein. Von mir aus. Dort verunstaltet mich kein Neonlicht. Da macht es mir sogar Spaß, Chris schneller zum Schwitzen zu bringen als sonst. Im schummrigen Dämmerlicht strecke ich mich genüsslich aus, rekele mich hin und her, zerreibe die ersten Schweißperlen auf der heißen Haut. Chris bleibt nichts anderes übrig, als die Sauna frühzeitig zu verlassen.
    Mit Chris schlafe ich gerne. Sein Körper regt mich an, ich könnte den ganzen Tag mit ihm im Bett verbringen. Chris ist der

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