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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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oder Sie lernen zu leben: mit wenig und im Augenblick. Und das habe ich gelernt. Und das kann ich jetzt. Und das will ich nicht mehr ändern. Es wird sich schon was finden.«
    »Noch ein Verrückter«, erklärte Havelack und lachte.
    »Widerspruch!«, sagte Schlüter. »Geld zeigt den Charakter. Erich Müller ist übrigens heute Abend auch dabei.«
    »Illustre Gesellschaft. Wer ist denn noch da?«
    »Die Tochter des Grillwirtes, Zekiye Kaya.«
    Sie war eine Woche nach Schlüter und Clever aus der Türkei zurückgekehrt; Schwierigkeiten hatte es nicht gegeben. Sie brachte die herzlichsten Grüße von Osman Barut mit und neue Pläne, denn sie hatte in Sivas einen Mann kennengelernt, einen Aleviten, ausgerechnet in Sivas, wohin ihr Vater sie hatte verbannen wollen. Aber sie wollte nicht in der Türkei leben … Ihre Lehre konnte sie fortsetzen und zunächst hatte sie noch im Gerbergang gewohnt. Christa hatte sich mit Zekiyes Mutter in Verbindung gesetzt, aber es war den beiden Frauen nicht gelungen, den alten Kemal zu beruhigen. Seine Ehre war ruiniert, lag in Trümmern im Dreck, er hatte nicht nur vor Emin Gül, sondern auch vor dessen großer Sippe das Gesicht verloren, denn ein Vater, dem die Tochter nicht gehorcht, ist ein Waschlappen. Er kann allenfalls sein halbes Gesicht wiederfinden, indem seine Tochter nicht mehr seine Tochter ist und auch ihre Mutter nicht mehr ihre Mutter ist, denn wenn ein Mann schon nicht über seine Tochter Gewalt hat, muss er wenigstens Gewalt über seine Frau haben, deswegen hatte Kemal seiner Frau unter Androhung schwerer Prügelstrafe den Kontakt zur Tochter untersagt. Aber Mutter Kaya wollte ihr bisschen Leben nicht der Ehre ihres Mannes opfern, ihr Herz funktionierte noch und sie setzte sich heimlich mit ihrer Tochter in Verbindung. Nach sechs Wochen bezog Zekiye eine eigene Wohnung, die sie mit ihrem Lehrlingsgehalt, vielen Überstunden und dem Geld finanzierte, das ihre Mutter dem Vater stibitzte, womit sie ihn eigentlich unwiderruflich demütigte. Aber davon merkte er nichts. Vielleicht wollte er auch nur nichts merken. »Bei Ehrenrettungen kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse nicht an. Hauptsache, die Theorie stimmt«, schloss Schlüter seinen Bericht.
    »Noch ’n Verrückter. Ich sage ja immer, Verrückte bevölkern die Welt. Man kann nie wissen, auf welcher Seite man steht. Da tröstet Essen und Trinken, weil das fast die einzigen normalen Beschäftigungen sind. Hat unser Gastgeber einen ordentlichen Wein? Oder müssen wir roten und grünen Schnaps trinken?«
    »Verlass dich auf unseren Alkoholiker!«
    Schlüter kurbelte die Scheibe wieder herunter.
    »Hier stinkt’s nach Gülle«, warnte Havelack.
    »Besser als nach Döner«, behauptete Schlüter und bog vorsichtig ab auf den langen Moorweg zum Hof Heinsohn. Der war neuerdings gut befahrbar, weil Cengi die Schlaglöcher mit Brocken gefüllt hatte.

56.
    Die Vorspeise nahmen sie im Garten ein.
    Cengi hatte aus Böcken und Brettern einen Tisch gebaut und sie saßen unter dem Apfelbaum vor der Küchentür an der Nordseite des Fachwerkhauses: Außer Christa und Peter Schlüter waren zugegen Clever als Koch, Cengi als Beikoch, Heinsohn als Hausherr am Kopfende, Havelack als Überraschungsgast ihm gegenüber und schließlich Zekiye Kaya als Hilfsköchin; sie war tags zuvor schon mit Clever angereist, weil sie am Wochenende freihatte und helfen wollte.

    Clever reichte Kichererbsenmus mit Knoblauch, Zitrone, und Sesamöl, Hommus heiße das Mus, erklärte er und aus seinen Augen lächelten fünf Sterne. Dazu gab es albanische Leber und Hirtensalat und Raki, jedenfalls für die, die Alkohol vertrugen und denen er nicht verboten war.
    Havelack roch an seinem Glas. »Nicht schlecht«, erklärte er.

    »Wo bleibt Erich nur?«, drehte Clever sich um. Er hatte für sich und Zekiye einen türkischen Tee gekocht und wollte anstoßen.
    »Er wartet wohl, dass das Brot im Backofen heiß wird«, vermutete Heinsohn.
    Schlüter fiel auf, dass zwei leere Stühle am Tisch standen.
    Da öffnete sich die Küchentür und er kam schon heraus: ein kleiner, filigran gebauter Mann mit sehnigen Armen, einem dunklen Gesicht mit scharfen, tief eingravierten Falten und einem durchdringenden Blick aus schwarzen Augen.
    Erich Müller stellte den Korb mit dem Fladenbrot auf den Tisch, nahm auf einem der freien Stühle Platz und erhob sein Glas. »Auf die Gesundheit, auf Glück und Zufriedenheit, und auf unseren Rechtsanwalt!«
    »Auf die Freiheit!«,

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