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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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dass ihn Paul mit zur Arbeit nahm, in die ehemalige Kaserne, die vor gut drei Jahren geschlossen worden war.
    Der Mann, für den sie arbeiteten, ein gewisser Schütt, hatte drei große Häuser gekauft; man nannte die Gebäude Mannschaftsblöcke, weil früher Soldaten darin gewohnt hatten. Er wollte sie zu Wohnungen umbauen; eine Menge Arbeit, Cengi würde lange zu tun haben. Das beruhigte. Nur organisieren konnte Schütt nicht; in allen drei Blöcken wollte er gleichzeitig mit der Arbeit anfangen. Bevor der Winter kam, sollten die alten Heizkörper von der Wand, damit sie nicht platzten und das Wasser durch die Decke lief.
    Dutzende der klobigen Backsteinriesen säumten die Straße, angetreten und stillgestanden wie Soldaten zum Appell, jeder ungefähr zwanzig Meter breit und fünfzig Meter lang. Sie trugen noch die alten Nummern, die Hitler und seine Generäle ihnen 1938 gegeben hatten. Vor einigen der Häuser rührten sich Schilder, Container, Schutthaufen, Gruben, Baumaterial. Die meisten aber hielten den Atem an und warteten auf einen Käufer.
    Ein harmloser blauer Wagen bog in die Straße ein und fuhr langsam an den Häusern vorbei. Der Fahrer suchte etwas, denn er saß weit vorgebeugt und drehte seinen Kopf zwischen den Fäusten am Steuerrad. Cengi sah dem blauen Wagen nach, bis er im Westen hinter den letzten welken Novemberblättern der Bäume verschwand. Wahrscheinlich war die alte Turnhalle sein Ziel. Cengi atmete tief durch, drehte sich um und begann, neuen Putzmörtel zu mischen.
    Vier Schaufeln Sand, eine Schaufel Kalk und eine knappe halbe Schaufel Zement in die Balje. Zementstaub puffte aus dem Bottich auf, eine kleine Wolke, durch die die Sonne schien. Schnell einen Eimer Wasser dazu, bevor der Staub ihm in die Augen biss. Cengi hätte den Mörtel auch unten vor der Tür und mit der Mischmaschine und nicht hier im zweiten Stock mit der Hand mischen können. Aber so musste er das Wasser, mit dem er die Masse anrührte, nicht auch noch mit hochtragen. Es gab in dem langen Flur ein Klo und neben den Pinkelbecken einen Wasserhahn, von dort hatte er sich einen Schlauch in diesen Raum gelegt. Der Chef war einverstanden.
    Außerdem fühlte er sich hier oben sicherer. Cengi stach die Schaufel in den Mörtel und näherte sich wieder dem Fenster. Wo war der harmlose blaue Wagen? Ob der schon wieder zurückgekommen war? Oder fuhr er auf der Parallelstraße zurück?
    Cengi hängte den Schlauch in den Wassereimer, drehte die Düse auf und ließ ihn volllaufen. Dann tauchte er den Quast in das Wasser und bespritzte die Wand zwischen Fenster und Tür. Das war das Wichtigste beim Putzen: Die Wand nahm nichts an, wenn sie trocken war. Und diese Wand war so trocken wie der anatolische Sommerwind, der den Wasserstand des Euphrat um Meter senkte, zwischen Mai und Oktober, wenn kein Regen fiel. Der Mörtel musste an der Wand kleben bleiben, wenn man ihn mit einem lockeren Schwung aus dem Handgelenk von der Kelle dagegen warf. Lieber hätte Cengi mit Lehm geputzt. Der blieb überall sofort kleben. Zu Hause benutzten sie ihn seit jeher, sie bauten sogar ihre flachen Dächer aus Lehm, mischten Salz unter die letzte Schicht und walzten sie, bis sie wasserdicht war. Zu Hause brauchten sie neben dem Haus nur ein Loch zu graben und schon hatten sie genug Lehm. Nach der Schneeschmelze war der so schmierig, dass man nach drei Schritten feststeckte. Hier kam Lehm gerade in Mode. Wer Geld hatte, besorgte sich Lehmputz vom Biobaustoffhandel und beschmierte damit seine Wände. Der Chef lästerte über diese Leute. »Früher hatten sie lange Haare und einen Bart, und heute laufen sie kahl rasiert rum und lassen sich Lehm an die Wände schmieren.« Cengi schüttelte den Kopf. Ganz schön verrückt, dachte er und dabei fiel ihm auf, dass er auf Deutsch dachte. Es war besser, auf Deutsch zu denken, wenn man hier war. Die anderen Sprachen, die er konnte, nützten ihm in diesem Land nichts.
    Jedenfalls sollte hier kein Lehm an die Wand und auch kein Fertigmörtel, »bei dem weiß man nie, was drin ist«, wie der Chef gesagt hatte, sondern ein von Hand angerührter ordentlicher Kalkzementputz. Selbst gerührter Mörtel war billiger. Der Chef war ein geiziger Kerl, er zahlte nur sechs Mark die Stunde und hatte einen monströsen Bauch. Es gab viele dicke Bäuche und große Hosen hier. Den Leuten ging es gut.
    Cengi arbeitete systematisch. Er bewarf die feuchte Wand mit Mörtel und strich ihn grob zurecht. Er nahm das große Putzbrett, stemmte

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