Paragraf 301
gefrühstückt.
Dann stand er wieder vor Cengis Bett.
»Er ist tot …«, weinte es aus dem Blutklumpen.
»Wer ist tot?«, schrie Heinsohn.
»Veli ist tot, mein Onkel, Xal Veli.« Die Gestalt auf dem Bett bewegte sich krampfartig. Cengi wimmerte.
Er hatte ein Handtuch um seinen Kopf gewickelt. Es war blutgetränkt.
»Wie siehst du aus, wir müssen …«
»Es geht schon …«, weinte Cengi.
Heinsohn nahm sich zusammen und hob mit zitternden Fingern das Handtuch an: blutverschmiertes Gesicht, blutverklebte Haare, das Auge ein pochendes Geschwulst. Heinsohns Geistesgegenwart kehrte zurück, der Kreiselmäher in seinem Kopf ging auf Halbgas.
»Das geht nicht!«, widersprach Heinsohn, eilte nach unten, geordnet diesmal, der Schmerz in seinem Fuß war zurück und jaulte wie ein streitsüchtiger Kater. In der Küche fand er im Telefonbuch die Nummer von Dr. Dewald und brüllte so lange in den Hörer, bis die verschreckte Arzthelferin versprach, Dewald werde sofort kommen, sofort, er laufe schon zum Auto, er … Dann machte Heinsohn an der Küchenspüle einen Eimer sauber und füllte ihn mit heißem Wasser, zog aus dem Küchenschrank, den Cengi aufgeräumt hatte wie fast alles andere im Haus, einen Stapel Handtücher. Damit eilte er wieder nach oben, und als Dr. Dewald reichlich zehn Minuten später, die Notfalltasche in der Hand, vor der Tür stand, wusste Heinsohn über das wenige Bescheid, das Cengi berichten konnte. Er war nach dem Schlag aufgewacht, unterkühlt und halb im Wasser liegend, und zwar, wie er feststellte, nachdem er herausgekrochen war, im Straßengraben an der Moorstraße vor dem söhlschen Grundstück. Wie er dorthin gekommen war, wusste er nicht: Hatte der Täter ihn fortgeschleppt? An der Straße entlang war er die zwei Kilometer zurückgetorkelt, weinend und halb ohne Besinnung vor Schmerz und Trauer. Der Anblick des Toten war ihm gegenwärtig, aber eine weitere Erinnerung hatte er nicht.
Als Dewald die Haustür öffnete, stand Heinsohn im Flur und sagte mit kratziger Stimme: »Sie wissen doch noch, die Geschichte mit dem kleinen Lars …?«
Dewald nickte langsam.
»Der da oben«, sprach Heinsohn weiter, »der braucht Ihre Hilfe … aber Sie sollen niemandem was sagen.« Er schluckte. »Bei dem ist das so ähnlich, wenn Sie wissen, was ich damit meine. Ich – ich leg die Hand für den ins Feuer, egal was die …«
Dewald blickte Heinsohn stumm ins Gesicht. Die Tasche baumelte in seiner Hand. »Passt schon«, sagte er und grinste, aber es sah aus, als weinte er.
Während Heinsohn danebenstand, reinigte der Arzt Cengis Schädel, tastete ihn vorsichtig ab, versorgte die Wunde mit Jod, verband sie und fragte den Verletzten nach seinem Befinden.
»Schwein gehabt«, diagnostizierte Dewald. »Schwere Schädelprellung. Gehirnerschütterung. Wie es aussieht, kein Schädelbruch. Das war ein fürchterlicher Schlag. Ein Stückchen weiter zum Ohr und Sie wären hinüber gewesen. Jemand wollte Sie umbringen, kein Zweifel.«
Ein Zucken wie ein Gewitterblitz zerriss das Gesicht des Arztes. »Ich würde zur Polizei gehen«, fügte er hinzu und wandte sich ab. »Der Orbitaboden eingeschlagen. Der Wangenknochen unter dem Auge, der härteste Knochen, den der Mensch im Leibe hat. Das muss geflickt werden. Wenn nicht, verrutscht uns möglicherweise das Auge …«
»Mh – mh«, machte Cengi.
»Das sehen wir noch«, sagte der Arzt.
Als er ging, folgte Heinsohn ihm nach unten.
Dewald blieb in der Tür stehen und fragte: »Wo ist eigentlich Ihre Frau?«
Heinsohn schossen die Tränen in die Augen, er konnte nicht sprechen und hob nur die Schultern.
»Und Ihr Sohn?«
Auch auf die zweite Frage erhielt der Arzt keine Antwort.
»Das geht so nicht weiter«, stellte Dewald fest. Seine rechte Wange schoss nach oben, verschloss das Auge und entblößte die Zähne.
Ohne Gruß ging er fort.
Nebel lag wie der Rauch eines Feuers über dem Land, die Birkenbäume schwammen darin wie Inseln. Aus dem Dunst am Horizont strahlte das violette Licht der frühen Sonne.
Heinsohn drehte sich um. Ich habe während der ganzen Zeit noch nichts für Heyder getan, dachte er. Ich habe nur genommen. Er würde ihm einen Tee kochen. Und dann würde er melken, allein.
24.
Pünktlich am Montagmorgen wartete Schlüter vor dem Haupteingang auf den Präsidenten, der mit dem Dienstwagen LG 2 vorgefahren kam, einem schwarzen Mercedes, vorschriftswidrig bis zur Schranke, an der nur Krankenwagen mit physisch Geschädigten zugelassen
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