Paragraf 301
Clever trocken. »Da hab ich mir Benzin reingespritzt. Volle Pulle, Herr Doktor!« Eine Spur Stolz klang mit.
Schlüter wurde flau im Magen. Wenn man den Kerl so sah …
»Und das hat verdammt wehgetan und beim nächsten Mal sorge ich dafür, dass es klappt. Jedenfalls will ich nicht mehr, und das sage ich dem Richterarsch auch, wenn er hier reinkommt, dass das klar ist.«
»Mann, Clever, meinen Sie, es macht mir Spaß, Sie über Jahre weg immer wieder verteidigt zu haben, wenn Sie jetzt einfach den Arsch zukneifen?«, hielt Schlüter dagegen. »Enttäuschen Sie mich nicht!«
Clever starrte Schlüter aus trockenen Augen an. »Das meinen Sie nicht, oder?«
»Doch, das mein ich«, log Schlüter wie ein Pastor, der einem alten Sünder das Paradies verspricht, an das er selbst nicht glaubt. Paradiese sind langweilig, es wollen nur alle hin, weil noch keiner zurückgekommen ist und das endlich mal klargestellt hat.
Clever verzog seine langen Mundwinkel zu den Ohren. »Trotzdem«, sagte er bockig.
»Und warum?«
Clever sackte weiter in sich zusammen und rührte sich nicht.
»Mensch, Clever, meinen Sie wirklich, dass das sein muss?«
Clever stöhnte leise.
»Warum, Clever?«
Clever schüttelte den Kopf. Schlüter wartete.
Schließlich begann Clever, leise und schleppend zu sprechen. »Weil …, weil, …, weil alles so sinnlos ist! Erst spielt sie einem Schopäng vor auf ihrem neuen Schlossklavier und trinkt Bier mit einem und und … Und dann macht sie alles mit einem, alles, was man sich wünscht und schon immer gewünscht hat und sich immer wieder wünschen wird, solange man noch lebt und der Mond scheint auf das Klavier, der Vollmond fast, mit dem man sich auskennt. Und man denkt, das ist alles anders als sonst, es ist das erste Mal, dass es wirklich ernst ist, und man glaubt es, weil sie es sagt, schon allein wegen diesem Scheißschlossklavier …«
Clever schluchzte und verschanzte sein Gesicht wieder hinter dem bandagierten Arm.
»Schlossklavier?«, fragte Schlüter und tat beiläufig. »Was ist das denn für ein Instrument?«
»Das hat sie aus dem Schloss. Hab ich selber geholt und weggebracht. Heißt Flügel.« Clever klappte die Arme hoch und runter. »Hat aber mit Fliegen nichts zu tun. Sieht wie ein Klavier aus, nur mit drei Beinen. Hat ihr Mann ihr geschenkt … O Scheiße, das …« Clever verstummte.
»Mir können Sie doch alles sagen, Clever. Auch dass sie verheiratet ist. Und wenn sie mit dem Papst verheiratet ist.«
»Nee, nicht mit dem Papst, Herr Doktor. Aber so ähnlich. Sie sagt, ihr Mann, der kann sie nicht ordentlich f…, und ich, sagt sie, ich könnte sie viel besser … Scheiße, Herr Doktor, ich red nicht schlecht über Frauen, ich nicht. Ich verrat nix. Sie ist nicht so eine, die nur das eine will, und nun will sie doch wieder mit ihrem Oberkreisdirektor und dem Klavier aus dem Schloss und ihm was vorspielen, bei Vollmond, aber mir nicht mehr. Und da will ich auch nicht mehr, ich will nicht mehr, Herr Doktor, es reicht mir jetzt, keiner kann mir die Freiheit nehmen, die ich noch hab, die letzte, die allerletzte, die ein Mensch hat, dass er sich von allem frei macht, wenn er will und es das Beste für alle ist, Herr Doktor.«
Clever wandte sich ab. Es zuckte ihm die schmale Brust, als hätte er Schluckauf.
»Ich kann Ihnen helfen, Clever.«
»Sollen Sie nicht! Können Sie auch nicht!«
Schlüter dachte nach. Bis er dieser mageren Heuschrecke von Mann Lebensmut aufgeschwatzt haben würde, war der Präsident auf dem Flur verhungert. Ob er die ganze Zeit vor dem Fischauge stand und sie beobachtete? Das Gesetz schrieb eine kurzfristige Entscheidung vor. Niemand sollte ohne Beschluss, also ohne Rechtsgrundlage, gegen seinen Willen seiner Freiheit beraubt werden. Schlüter hatte keine Zeit, Clever ins Leben zurückzuquatschen. Vielleicht war er auch tatsächlich nicht zurechnungsfähig. Wer weiß, mit welcher Dosis Haldol ihn Havelack hatte vollpumpen lassen. Der Präsident würde Clever nach Lüneburg zwangseinweisen, für drei Monate zunächst. Nachdem Clever alles Bisherige ausgehalten hatte, würde er auch das noch aushalten. Und dann würde man weitersehen.
»Was wollten Sie ihr denn schenken, der Frau …?«
»Das isses ja, Herr Doktor. Sie hat ja alles! Für die klauen zu gehen, macht überhaupt keinen Sinn!«
»Sie haben keinen Einbruch gemacht, Clever?«, fragte Schlüter ungläubig.
»Neeheehee«, heulte es zwischen den spitzen Ellbogen hervor.
»Das heißt, Sie
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