Parallelgeschichten
dem Brustkasten heraufstoßend zu sprechen begann, erschien auf ihren Zügen auch Bosheit; Hass, nackter Schrecken, ein tief gefühltes Rachebedürfnis, Erna hätte sich nicht nur abwenden müssen, sondern Hals über Kopf fliehen.
Ich möchte Ihnen so sehr helfen, ich kann es gar nicht sagen, stöhnte Geerte. Und Ihnen auf gar keinen Fall schaden.
Doch habe ich außer meinem Körper nichts, rein nichts. Wie könnte ich Ihnen helfen. Auch kann ich, weiß ich fast nichts.
Dann, in ihrer Sprache, brüllte sie beinahe.
Ach, nichts, nichts.
Und doch war es ein sehr diszipliniertes Brüllen.
Jetzt sah Erna auf diesem Gesicht nicht mehr die ruhige Intimität der niederländischen Malerei.
Es wurde still zwischen ihnen.
Sie sah, dass diese Frau im Grunde eine Verbrecherin war. Als hätten ihre Zärtlichkeit und Sanftheit, zu denen sie sich zwang, eine andere, bisher unbekannte Seite. Diese Frau war zu allem fähig. Ihr verzweifelter Ausruf blieb in der lastenden Stille des Hauses stecken.
Erna glaubte in diesen Gesichtszügen die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs wiederzusehen. Um sie zurückzuweisen, abzuwehren, nicht an sich heranzulassen, den Ereignissen, solange es noch möglich war, eine andere Richtung zu geben, hätte sie sich sehr rasch anziehen müssen. Es war schon zu spät, sie wusste es. Die Pferde trabten mit ihr durch die Ulmenallee von Jászhanta. Alles ist im Voraus aufgezeichnet, festgeschrieben. Man kann nichts dagegen tun. Und sie hatte auch nichts anderes zum Anziehen. Auf ihren Armen und Schultern lag Gänsehaut, als sei ihr kalt, ihre Brustwarzen zogen sich zusammen, sie zitterte immer stärker.
Warum habe ich nicht gemerkt, wie hungrig sie ist. Und wie hungrig ich nach ihr bin.
Nein, da war nichts in der Nähe, was sie sich rasch überziehen konnte. Sie stand in diesem großen, kühlen Raum, nirgendwo Hilfe.
Und kein Gott, den sie anrufen konnte. Ein bisschen half zwar, dass sie sich einen Augenblick von außen sah, wie sie in dieser wahrlich lächerlichen Lage in diesem fremden, kühlen, spärlich möblierten Saal stand.
Und plötzlich hörte, wie im Nebenzimmer ihr Kind zufrieden und leise babbelte.
Das Einzige, was zur Hand war, war das feuchte Tuch. Es lag, auf den Tisch geworfen, auf einer schmucklosen Silberplatte. Sie bückte sich danach. Als ob sie mangels eines Besseren mit dieser Bewegung ihre Nacktheit bedecken könnte. Die Hoffnung, hier doch noch irgendwie herauskommen zu können, gab ihr Kraft. Als streckten sich vom Nebenzimmer unsichtbare Fühler nach ihr aus, als würde sie von einer heimlichen Kraft, einer Nabelschnur gefesselt, und also wäre doch wahr, was Geerte behauptete und was sie bis dahin noch nie gefühlt hatte.
Ihr Kind würde sie tatsächlich anbinden und zurückhalten.
Ich glaube, sagte sie stöhnend und stotternd, da sie sich ein wenig gestärkt fühlte, es wäre das Beste, glaube ich, wenn ich diese volle Brust zuerst abpumpe. Doch sie hörte an ihrer eigenen Stimme, dass sie sich nicht mehr beherrschte, in keiner Weise, und auch von dem Babbeln nicht gebunden war. Ihr Kind würde sie nicht zurückhalten.
Und wenn es so war, wenn sie bereit war, alle und alles zu verraten, wollte sie es lieber gar nicht sehen, sie schloss die Augen.
Und doch konnte sie nicht aufgeben, sich damit abfinden, dass es kein Zurück gab. Als sie wieder zu sprechen begann, kam eine eher unangenehme, wie an ein unfolgsames Dienstmädchen gerichtete Stimme aus ihrer Kehle.
Geerte, bringen Sie mir doch die Pumpe aus dem anderen Zimmer.
Ihre Hände stießen auf dem feuchten Tuch zusammen, was die Platte ein wenig zum Scheppern brachte.
Geerte war dabei, die zusammengelegten Kleider daraufzulegen, sie wollte so rasch wie möglich Hände und Arme frei haben.
Sie legte beide Arme um Ernas Hüfte, zog sie aber nicht gleich an sich. Ihre vollen Lippen, die in dem weißen Gesicht auch sonst so eigenartig und fremd wirkten, zitterten.
Ach, lassen Sie mich los, ächzte Erna kraftlos.
Der Protest wäre weniger lächerlich gewesen, wenn sich ihr ein Mann aufgedrängt hätte. Doch diese andere Person war eine Frau, und so hatte sie endgültig das Gefühl, die Flucht sei unmöglich. Sie habe nichts in der Hand. Rasch wandte sie den Kopf vor Geertes Lippen ab, damit sie nicht ihren Mund erreichten.
Als sagte sie zu sich, das dann doch nicht. Was heißen würde, sonst aber alles.
Etwas war durchgebrochen und hatte sich geöffnet.
Sie stand in einem so engen Raum, dass sie auch
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