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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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rückwärts nicht hätte ausweichen können. Das Kind babbelte, und vielleicht nicht einmal ganz unschuldig. Ihr Körper war noch von der elementaren Kraft der Abwehr angespannt, aber im Augenblick, als Geertes Lippen sie unterhalb des Backenknochens leicht berührten, wurde er sofort schlaff. Von Abwehr keine Spur mehr. Auch wenn sie sich nicht wegen der Berührung der Lippen gelockert hatte, die hatte bloß ihren fiebrigen Schauder in fröstelige Hitze verwandelt, sondern die Berührung der Brüste hatte das Ihre getan.
    Aber das, was man innere Empfindung oder nüchternes Denken nennen mag, wurde dadurch nicht verwirrt.
    Sie meinte, klarer zu sehen als sonst.
    Von ferne hörte sie das Babbeln, das gedämpfte Traben der Pferde in der Allee, sie flog im Wagen durch Lichter und Schatten. Die eine Wölbung spürte die andere, als pulsierten sie in gemeinsamem Rhythmus, als poche der andere Körper durch die Kleider hindurch herüber. Die Erde in Jászhanta ist dunkler schwerer Sand, der von den Frühlingsregen zusammengepappt, von der Sommerhitze verfestigt wird. Welch ein Glück, dachte sie, dass ich meinen nüchternen Verstand doch nicht verliere. Diese Nüchternheit bot ihr eine Art gutgläubiger Zuflucht. Vielleicht hörte sie Geertes Herz, oder ihr eigenes, als das Klopfen der Hufe auf dem Sand.
    Zum ersten Mal spürten sie sich gegenseitig so, dass sie ihre Empfindungen nicht voneinander trennen konnten. Als beobachte Erna die eigenen Gefühle aus einer Distanz und wage nicht, sie zu durchleben, während die andere nicht mehr aus sich hinaussieht. Das ist der ganze Unterschied zwischen ihnen. Oder als fühle nicht sie die andere Frau, sondern ihr Mann, dessentwegen sie dauernd, und keineswegs grundlos, eifersüchtig war. Als fühle sie auf ihrem Schambein das der anderen, und doch wäre es nicht sie, sondern ihr Mann, der sich dagegenpresst.
    Endlich spürt sie, was ihr Mann spürt, dieser Mann, alle Männer, und sie würde an ihrer statt die eigenen Bedürfnisse ausleben.
    In dem Schrecken, der sie ergriff, nannte sie seinen Namen, István, als riefe sie ihn, ihn, den Einzigen, damit er helfe. Sie verwandelte sich in den einzigen Mann, den sie mit dem Körper kannte und von dem sie ihre beiden Kinder hatte. Was sie auch gleich über ihre Liebe zu ihm beruhigte.
    Ich liebe ihn, liebe ihn, doch nur ihn, was immer auch geschieht. Und nicht die Frau, die sie jetzt umarmte, sogar noch stärker, als die Frau sie umarmte. Das würde in ihrem Leben einfach eine Episode bleiben, die man nicht ernst zu nehmen braucht. Es war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie die andere Frau an sich gezogen hatte. Ihr Bewusstsein mochte zwar klar funktionieren, aber ihre Absichten durchschaute es nicht.
    Dann aber war noch jemand anders in ihr präsent.
    Geerte war die Stärkere, oder von tieferen, sichereren Gefühlen gelenkt. Fast grob und sehr gewöhnlich. Die aneinandergepressten Brüste und Schambeine kamen nicht zu einer beruhigenden Übereinstimmung. Erna wusste nicht, ob sie irgendetwas wollen konnte, das diese andere von ihr nicht wollte. Ihr Bewusstsein war völlig von der Suche nach Ausflüchten, von Zweifeln besetzt, was aber die Lust nicht verminderte.
    Höchstens, dass sie die andere heimlicher genoss als die andere sie.
    Geerte hatte ein bestimmtes Ziel.
    Ein phantastisches Bild schwebte ihr vor, dem sie folgte. Fast als wolle sie lebendige Materie in ein ausfransendes Trugbild stopfen.
    Erna spannte sich zu ihr hin, Geerte eher gegen sie.
    Dass sie etwas wollte, spürte Erna. Das ließ auch in ihr eine bestimmte Vorstellung entstehen, die unversehens andere Vorstellungen wegschwemmte. Obwohl das Kind nach wie vor gleichmäßig und warnend babbelte.
    Nur die fettgepolsterten Hügel, und weiches Haar, wie es sich ineinanderkräuselt. Es fehlte nur der Kuss, damit es passierte; es fehlten die Berührung der Lippen, der volle Geschmack und die volle Empfindung der Münder, die sich öffnen, aufeinander zu, und dieses Fehlen stellte sie sich vor. Genau das, was sie sich soeben grundlos versagt hatte.
    Nein, sie durfte sich nichts versagen. Sich öffnen, wie zwei sich umeinander windende, sich in Rüschen aufeinanderklebende, muskulöse Schnecken.
    Schon lange hatte sie sich Geertes flammend rotes Schamhaar vorgestellt. Wenn sie sich niederbeugte, könnten sich die Schamlippen öffnen, die Lippen sich ineinanderschmiegen. Ihre Vorstellung öffnete die Horizontale und die Vertikale aufeinander hin, verwischte sie, die Lippen,

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