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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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beleidigend und ungerecht empfand. Wie konnte eine unglücklich sein, die so üppig und schön war. Gerade das war es ja, dass sie den Blick nicht abwenden konnte, sie nicht genug ansehen konnte. Mit einer einzigen leichten Bewegung des Handgelenks deutete sie an, dass sie die Bluse und das Unterhemd gleich mitnehmen wolle, in die Wäsche.
    Dann wäre sie gerettet, könnte hier weg.
    Aber dafür musste Erna zuerst aufstehen, sie konnte Bluse und Unterhemd nicht im Sitzen aus dem engen, ihre Hüfte breit umfassenden Bund ziehen. In dem Augenblick wusste sie schon, dass sie nur so tat, als ob sie deswegen aufstünde, das aber nicht der Grund war. Vor Erregung zitterten ihr ein wenig die Knie, und auch wenn ihr diese Erregung vertraut war, wollte sie es nicht glauben.
    Als hätte sie eine einzige unpersönliche Leidenschaft, die sich jetzt einfach in einer anderen, unbekannten Gestalt zeigte.
    Hatte sie denn nicht gerade zu der anderen Frau gesagt, dass ihr ebendiese physische Erregung fehlte, um sich ihrem Mann hinzugeben, dass sie nichts fühlte, nicht einmal das Bedürfnis, sich ihm zu zeigen, dass sie nicht begriff, warum sie nichts fühlte, während die Erregung jetzt in dieser anderen Form erschreckend und mächtig da war. Und ihre Knie zittern ließen, in Freude oder Angst, schwer zu sagen. Auch Geerte war aufgestanden, als täte sie bereitwillig alles, damit Erna zum Gabelfrühstück der Universität, im gesellschaftlichen Leben des Städtchens ein wichtiges monatliches Ereignis, ja nicht zu spät kam. Jedenfalls verstand Geerte ihren eigenen Eifer so, denn sie gab sich noch krampfhafter Mühe zu verdrängen. Gleichzeitig erschien auf ihren schweren Lippen ein blasses Lächeln, das sich ausbreitete und aufs Gegenteil zu deuten schien.
    Auf Verachtung.
    Oder auf etwas, das ihr an Ernas Benehmen gar nicht gefiel.
    Das sie ablehnte.
    Vielleicht dieses ganze dumme Zittern, das Erna im Körper spürte und das bereits sichtbar war.
    Sichtbar oder nicht, es ist mir egal, sagte sich Erna, und sie fühlte eine deutliche Wut auf Geerte van Groot, die mit ihrem verächtlichen Lächeln sie jetzt einfach so stehen lassen würde.
    Eigentlich haben Sie mir gar nichts gesagt, Geerte. Außer leeren Worten. Sie sind allen meinen Fragen schön ausgewichen, sagte sie und lachte Geerte breit an.
    Ihr Lachen war schamlos und lockend, die Lippen lösten gewissermaßen das schmähliche Zittern auf, obwohl sie selbst auch zitterten.
    Geerte hätte ihr am liebsten eine runtergehauen.
    Im Mund feucht aufblitzende Zähne, eine Vorstufe des Bisses. Erna hielt ihr die Bluse hin und schlüpfte dann rasch aus dem Unterhemd.
    Nur ich habe geredet, sagte sie, immer rede ich zu viel, und jetzt stehe ich völlig ausgeliefert und hilflos vor Ihnen.
    Mit solch neckischer Leichtigkeit konnte sie aber den Ernst der anderen Frau nicht erschüttern.
    Geerte van Groot nahm die Bluse entgegen, das Unterhemd, faltete sie sorgfältig ineinander, hob dann den leicht gestärkten Batist und die schlüpfrige Seide hoch und tauchte ihre seltsame flache Nase so weich und aufmerksam darin ein, als suchte sie ihren Geruch. Oder als küsste sie die feuchten, von der sickernden Milch hinterlassenen Flecken. Die Gerüche vermischten sich, aber es war wirklich der fettige Milchgeruch, dessen Anziehung sie nicht widerstehen konnte.
    Es war klar, was sie suchte, es blieb auch nicht verborgen, welche Grenze die beiden Frauen damit überschritten.
    Was machen Sie, Geerte, um Himmels willen, Erna stöhnte vorwurfsvoll, flehend, tief verletzt in ihrem Schamgefühl, was machen Sie, tun Sie das nicht, während ihr ganzer Körper es mit kühlen und warmen Schaudern guthieß.
    Betroffenheit, Flehen und Vorwurf entsprangen derselben Lust.
    In Wahrheit war sie in eine andere Welt durchgebrochen, und an ihrem inneren Schreien gemessen gab sie nur schwache Signale von sich, während alles krachte und barst und aufbrach. Ein Wimmern stieg aus ihr auf. Wie eine Säge, die in knorrigem Holz stecken bleibt. Sie wollte fliehen, abwehren, damit nicht geschah, was sich ereignen würde, und riss unwillkürlich die Arme vor die Brüste.
    Geerte blickte von der an ihre Lippen gepressten Wäsche zu ihr auf, im Grunde überrascht. Sie schien blasser als sonst. Um ihre leuchtend weiße, glänzend gewölbte Stirn strahlten, flammten die herausgerutschten, sich in alle Richtungen kräuselnden Haare. Ihr Gesicht wurde grob, fordernd, aggressiv, düster. Und als sie den Kopf hob und die Töne aus

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