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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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hatte, vielleicht hatte Geerte in dieser für sie beide fremden Sprache etwas nicht richtig formuliert. Als verstünde sie einen Satz, der nicht gesagt worden war, oder als sei ein Satz verklungen, der eine ganz andere Bedeutung hatte.
    Danke, ich weiß, antwortete sie etwas verschämt, ich habe es gesehen. Büstenhalter, Unterrock, Blusen, alles ist immer voller Milch, fügte sie hinzu, halb lachend, halb verärgert, und holte tief Luft. Verzeihen Sie, aber es würde mich doch interessieren, ob Sie mir sagen könnten, warum Sie ihn nie mehr zu sich gelassen haben. Verzeihen Sie, dass ich so etwas frage, Sie verstehen bestimmt, dass ich in eigener Sache so neugierig bin.
    Was ebenfalls wie ein unnötiges Geständnis wirkte.
    Als ob Geerte nicht verstanden hätte, warum sie fragte.
    Eigentlich wollte Erna die andere Frau zum Reden zwingen, na, erzähl schon. Lass dich nicht durch Scham abhalten. Sie fühlte, dass sie ein unbekanntes Gelände betrat, alle Anstandsregeln verletzte. Genau das wollte sie aber. Es half, dass sie nicht in ihrer Muttersprache reden musste, in der fremden Sprache konnte sie weiter gehen als in ihrer eigenen. Geerte wiegte ein wenig den Kopf hin und her, als sei sie dafür zu haben, als sage sie bereitwillig, auch ihre Offenheit habe ein egoistisches Ziel. Als müsse sie es aber überdenken, während sie den Mund zum Sprechen geöffnet hielt, als käme erst im nächsten Augenblick das richtige Wort. Doch dann nickte sie nur zu dem, was sie bei sich dachte.
    Sie kämpfte.
    Sie wagte es nicht auszusprechen oder konnte nicht.
    Ein solcher Ernst wirkte auf Erna schon beinahe komisch, auch wenn sie ihn verstand.
    Die hält eisern daran fest, nicht unecht oder nicht angreifbar zu sein. Die schweren Lider senkten sich ein wenig, der mächtige Mund erzitterte mehrmals. Sie dachte nach, wägte ab, und das war schön, denn man sah, dass sie für die Antwort weit ausholen musste. Man sah auch, dass es für sie verletzend war. Während sie nachdachte und abwägte, wartete Erna wohlig auf die Antwort. Jedes Mal, wenn sie über etwas sprachen, wurde sie vom Ernst und von der Offenheit dieses ungewöhnlichen weißen Gesichts bis in die Tiefen ihrer Seele erschüttert. Zerstreut knöpfte sie ihre Bluse weiter auf, um endlich auch die andere Brust frei zu machen, aus der die Milch tatsächlich stark sickerte. Unter der Bluse trug sie keinen Büstenhalter, sondern ein enganliegendes weißes Unterhemd, an dem sie zuvor nur den obersten Knopf geöffnet hatte, um die eine Brust eilig hervorzuholen, damit das Kind endlich ruhig sei.
    Als sie mit dem Aufknöpfen der Bluse fertig war, musste sie mit dem Unterhemd weitermachen.
    Ich würde es gern, wirklich gern erzählen. Es ist aber nicht sicher, ob ich es kann, sagte Geerte nach einer Weile gedehnt, und während sie sprach, fixierte ihr Blick zerstreut Ernas nervös fummelnde beringte Finger, wie sie die dicht untereinander liegenden kleinen Knöpfe suchten. Das Unterhemd war so eng, dass es aussah, als würde der üppige, starke Körper im nächsten Augenblick aus dem feinen Stoff platzen und die Knöpfe wegsprengen. Und es ist auch schwer, von so etwas zu reden, weil ich überhaupt nicht weiß, nicht wissen kann, wie Sie es damit halten, Erna. Man weiß das ja nie. Ich glaube, von solchen Dingen spricht man eigentlich nicht. Man hält es für eine schlichte Angelegenheit, mit der sich die Beschäftigung nicht lohnt. Vielleicht stimmt das ja auch. Ich weiß es nicht. Die Frau wird von einem Mann schwanger, bringt ein Kind zur Welt, und fertig. Dann stillt sie. Ich aber war nie so, für mich war das nicht so einfach, und deshalb habe ich es auch nie jemandem erzählen können.
    Auch meiner Mutter nicht, der schon gar nicht.
    Meine Mutter, das können Sie mir glauben, gehört zu den Frauen, die alles, aber auch alles ihrem einzigen Sohn geben und ihrer Tochter rein gar nichts.
    Am liebsten würde sie mir die Speise aus dem Mund reißen.
    Auch ich meiner Mutter nie, unterbrach Erna leidenschaftlich, kein Wort, nie. Stellen Sie sich vor, meine Mutter hatte mir nicht einmal gesagt, pass mal auf, mein Mädchen, du wirst Blutungen bekommen.
    Die tiefe Verstimmung über ihre Mutter erlosch so rasch, wie sie aufgekommen war. Das Leidenschaftliche bezog sich eher darauf, wie sehr sie Geerte in dieser heiklen Frage folgte und sie verstand. Und dass sie sich nicht einfach mit ihr identifizieren wollte, sondern mit ihr identisch war. Nein, das ist wirklich nicht so einfach,

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