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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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den Kuss, die Schamlippen. Sie sah, wie sie von der Berührung aufgingen, sah, wie ihre sich mit öffneten.
    Spürte es.
    Aber sie konnte sich nirgendhin beugen, denn Geertes Lippen gingen grob auf ihren vom Widerstand angespannten Hals los; eine Schnecke, sich anhaftend, eine glänzende Schleimspur auf der dunklen, rauen Rinde der Bäume im Park hinterlassend, und dabei stieß Geerte sie auf den Stuhl zurück, auf dem sie soeben noch gestillt hatte. Unter dem doppelten Gewicht geriet der Stuhl ins Wanken, schaukelte auf den Hinterbeinen.
    Geerte hielt sie mehr oder weniger fest, und Erna klammerte sich in ihrem Schrecken an sie, mit angespannten Armen, damit sie nicht hintenüberkippten.
    Am liebsten hätte sie aufgelacht.
    Dann erschienen über ihr Geertes erschreckend aufgewühltes Gesicht, die vorgestülpten Lippen, der dämmernde Blick, die verrückten, rot wegragenden Locken, und in ihrem Bewusstsein blitzte auf, dass demnach Krieg war, dass sie vom Wirbelsturm fürchterlicher Epidemien und Feuersbrünste ergriffen war. Dass sie etwas sagen würde, jetzt, und ob in solchen Momenten jede Frau so hässlich war, genauso wie die Männer, doch da war der Stuhl mit ihnen schon hintenübergekippt.
    Sie fielen rückwärts, die Lehne schlug kurz vor Ernas Kopf gegen den Boden, deshalb verletzte sie sich nicht, dann fielen sie, sich umarmend, vom Stuhl. Das war eher Geertes Manöver zu verdanken. Mit den Beinen ineinander verkeilt, rollten sie auf dem Teppich auf die Seite. Der umgekippte Stuhl blieb liegen.
    Als wären sie lange nebeneinanderher gerannt, rangen sie beide nach Atem.
    Haben Sie sich wehgetan, Liebe, fragte Geerte, und vor Schreck, dass sie mit ihrer Ungeschicklichkeit der anderen vielleicht Schmerzen zugefügt hatte, nahm ihr Gesicht wieder den früheren Ausdruck an, ihre Züge glätteten sich.
    Wie lächerlich das war.
    So zu kämpfen, das hatte sie das letzte Mal als kleines Mädchen gemacht, und immer mit Jungen. Sich umarmend, aneinandergeklammert lagen sie auf dem kühlen Fußboden. Und wie schön das war. Als passierte das einem fremden Menschen, dessen Wärme sie spürte.
    Nein, ich habe mir nicht wehgetan, antwortete sie, die Wörter gleichsam in den Atem der anderen Frau hauchend. Aber Sie wollten mir gerade etwas sagen, Geerte.
    Ich sterbe, rief sie gepresst, leidenschaftlich, ich sterbe vor Neugier, wenn Sie es nicht sagen.
    Geerte hielt vor Überraschung den Atem an.
    Woher weiß sie, dachte sie, dass ich etwas sagen will.
    Dann stieß sie den Satz, heiser vor Scham und Schmerz, aus sich heraus.
    Ich wollte sagen, dass ich hungrig bin, das wollte ich sagen, dass ich ausgehungert bin, Erna.
    Ich bin durstig. Es fällt mir überhaupt nicht ein, Ihnen die blöde Pumpe zu bringen.
    Das wollte ich sagen.
    Worauf sie stumm und vielleicht völlig unwillkürlich lachten, es war wie ein verstehendes Zuzwinkern, und es wirkte ernüchternd.
    Erna löste sich aus der Umarmung, setzte sich langsam auf, wobei keine den Blick der anderen losließ.
    Um nicht so allein zu bleiben, nicht so zurückgelassen zu werden, griff Geerte plötzlich doch nach ihr.
    Endlich verstand Erna, und es erfüllte sie mit tödlicher Ruhe.
    Sie fühlte sich mächtig, stark, sie hätte mit ihrer blau geäderten, aufgequollenen Brust die hungernde Menschheit beherrschen, ernähren können, aber ein Gewicht hatte sie nicht mehr. Sie machten kaum merkliche kleine Bewegungen. Auch wenn sie das Gefühl hatten, die andere anzureden, sprachen sie von jetzt an nur noch für sich, und zwar äußerst merkwürdige, in keinem Zusammenhang stehende, zur Situation kaum passende Dinge. Erna sagte sich, ich muss die Jahreszahlen nachsehen. Und der Anreiz, den Mantel zu nehmen, zu gehen, in der Bibliothek nachzusehen, war so stark, sie fand ihn so natürlich, dass sich Geerte vor Schreck aufsetzte; sie hatte die Abwendung gespürt.
    Aber sie täuschte sich, wenn sie meinte, dass sie grob zurückgewiesen wurde.
    Sie ließen Hand und Blick der anderen gleichzeitig los.
    Kaum hatten sie die Brücke überquert, wurde der an sich schon schlecht gefederte, schwere Wagen auf den aus Basalt gehauenen gewölbten Pflastersteinen des aufgewühlten, schlammigen Margaretenrings geschüttelt und herumgeworfen. Sie bekommen ihn gleich, Frau Doktor, noch einen Augenblick Geduld, bitte, sagte der Chauffeur laut, rief es fast. Sobald ich dieses elende Stück hinter mir habe. Auch sonst möchte ich die Frau Doktor etwas fragen, wenn sie es gestattet.
    Im Moment

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