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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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nirgendhin versinken konnte. Seine Tante hatte ihm als kleinem Kind die Befriedigung verschafft, versagte sie ihm aber, seit er erwachsen war. Damals konnte sie nicht älter gewesen sein als das Fräulein. Beide waren kühl und im Interesse ihrer Arbeit zu allem bereit. An der einen konnte er die andere bewundern. Wie sollte er sich aus dem Netz befreien, das ihn in diesem verfluchten Geschäft plötzlich umfing. Er begehrte die Hände des Fräuleins, gleichzeitig schmerzte ihn das Gehirn von jedem ihrer Sätze, er musste sich mit den Fingern ins Haar wühlen, sich die Kopfhaut reiben, um nicht durchzudrehen wegen dieser Floskeln, die ihm wehtaten.
    Er kämpfte mit dem Wahnsinn, merkte es aber nicht, weil er glaubte, das Fräulein sei schuld. Vielleicht tat das Begehren weh. Er mochte glauben, dass ihn die ganze stupide Modebranche, mit der sein Tantchen befasst war, so aufregte. Vielleicht gab es auch Sätze, die sein Bewusstsein gar nicht erreichten. Damit die süße Lust der den Körper aufpflügenden Fingernägel das Stärkere blieb. In dieser Schiff gewordenen Badewanne, die ein Leck hatte.
    Deshalb also habe ich herkommen müssen.
    Worte und Sätze prasselten auf ihn nieder.
    Und er würde sich also doch ausziehen müssen. Gestern nicht, jetzt hingegen schon. Aber die Sehnsucht würde bleiben, und immer wieder würde sie ihn leckschlagen.
    Von diesen Gedanken, er wusste es, musste er sich irgendwie befreien.
    Das Fräulein sah ihm seine Verstörtheit an, aber sie war einiges gewöhnt, in dem Halbdunkel, wo sie manchmal bis zu zehn Stunden arbeitete. Von ihrer Ausbildung her war sie Weißnäherin, hatte aber nicht lange in der Fabrik gearbeitet. Seit einigen Wochen leitete sie nun die Berliner Niederlassung dieser Firma. Sie war vorsichtig, einfühlsam und um einiges gefühlvoller, als sie schien.
    Er brauche auch nicht zu befürchten, sagte sie, dass er Unterwäsche anprobieren müsse, die vielleicht schon jemand anders anprobiert hat. Nein. Das gebe es bei ihnen nicht. Schon deswegen nicht, weil jede Tüte versiegelt sei. Es sei ihnen klar, was für eine heikle Angelegenheit Herrenunterwäsche ist, und deshalb würden sie neuen Kunden die Möglichkeit einer Anprobe bieten. Das sei völlig risikofrei. Die einmal anprobierte, aber unverkaufte Wäsche komme nicht mehr in den Handel zurück.
    Dessen könne sie ihn versichern.
    Döhring gelang es endlich, diese Sätze richtig wahrzunehmen.
    Natürlich würde sie nicht weggeworfen, fuhr das Fräulein eilig fort, als müsse sie gleich einen Einwand entkräften. Das könnten sie guten Gewissens gar nicht tun. Diese Stücke würden sie, nach sorgfältiger Wäsche und Desinfektion, zuverlässigen wohltätigen Institutionen zukommen lassen.
    Sie übergoss ihn mit einem Wortschwall.
    So routiniert sie war, fürchtete sie doch, eine allzu komplizierte Seele vor sich zu haben und, was den Kauf betraf, einen schwierigen Fall. Wie zuvor seinen Körper, musterte sie jetzt seine unausgeprägten Gesichtszüge, und sie fügte hinzu, es seien vor allem kirchliche Institutionen, denen sie ihre Überschussware zukommen ließen.
    Döhring erfasste die Situation, es war nicht das erste Mal, dass man ihn für einen Seminaristen hielt.
    Überwältigend, wie sich diese Frau den Floskeln auslieferte, die ihn erschreckten und irritierten. Er versuchte seine Gereiztheit einigermaßen zu unterdrücken, nahm dann aber eine der Tüten und hob sie hoch wie ein Beweisstück. Die dunkel glänzenden Lippen des Fräuleins öffneten sich, sie blickten einander ratlos an.
    Er fragte, ob sie den kirchlichen Institutionen wohl die bischofsroten schickten. Und die kanariengelben den Blinden.
    Das Fräulein beschloss offenbar, es zu tolerieren beziehungsweise ihn absichtlich misszuverstehen.
    Mit ihren roten Nägeln schrammte sie über die Skala, lachte kurz auf, sagte, sie bitte um Verzeihung, kanariengelbe habe sie nicht, sie könne mit schwefelgelben dienen. Sie zog eine schwefelgelbe heraus und zeigte mit einer betont graziösen Geste, wo Döhring sie anprobieren könne.
    Döhring hätte sich jetzt umdrehen und hinter den Paravent zurückziehen müssen, aber er blieb reglos stehen.
    Beide Farben seien eine ganz vorteilhafte Wahl, fuhr das Fräulein begeistert fort. So auf den ersten Blick jedenfalls würde sie sagen, dass beide zu seiner Haut passten.
    Wieso denn, fragte Döhring unangenehm berührt, in welcher Hinsicht hätte das mit seiner Haut zu tun.
    In der Hinsicht der Farbenwahl, antwortete

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