Parallelgeschichten
das Fräulein mit ihrer vertraulichsten Stimme geduldig, obwohl sie fühlte, dass die Gereiztheit, so zurückhaltend sie auch formulierte, zwischen ihnen wuchs. Trotz aller Bemühung erreichte sie mit ihrer Stimme den jungen Mann nicht. Das Fräulein wusste jetzt nicht mehr, wie sie die Spannung lösen oder ihr ausweichen könnte. Auch ihr war zumute wie Döhring, los, frontal aufeinander, zuschlagen, feste druff. Lächeln half nichts mehr. Sie begriff nicht, wie das hatte entstehen können. Was sollte sie mit einem solchen bescheuerten Mann. Das war das Erste gewesen, was sie gedacht hatte.
Auch wenn sie durchaus sah, dass das kein Mann war, es auch nie sein würde, sondern ein Junge. Trotzdem, der Gedanke blieb. Die Firma arbeitete mit wissenschaftlichen Mitteln, die Verkäufer wurden psychologisch geschult. Der Psychologe hatte ihnen beigebracht, immer ihrem ersten Eindruck zu vertrauen, ganz ruhig und blind. Jetzt aber war sie nicht diesem Jungen, sondern ihrem eigenen Urteil gegenüber ratlos. Sie hatte das Gefühl, sie habe es schon im ersten Augenblick verdorben. Er strahlte eine Spannung und etwas Herausforderndes aus, die ihr unbekannt waren, und dem entsprachen ihre Verkaufstechniken nicht.
Das heißt, und gerade das war verwirrend, einmal entsprachen sie völlig, dann wieder gar nicht.
Vielleicht täuschte sie sich, und das war ein braver Junge.
Von sich selbst hatte sie, vielleicht nicht einmal grundlos, die Vorstellung, sie sei allen Bedürfnissen und Herausforderungen gewachsen, und wenn auch manchmal ein bisschen Glück mitspielte, hatte sie ja doch immer die Augen offen. Jetzt aber stimmte etwas nicht.
Sie gehörte zu den jungen, ehrgeizigen Mitarbeitern, die in den vergangenen Jahren die Firma aus ihrer festgefahrenen Sonderstellung herausgerissen hatten. Sonderstellung und Besonderheit, so sahen sie es, brauchte man nicht zu verbergen. Zuerst mussten gewissermaßen sie selbst ihren schlechten Ruf vergessen, um ihn dann auch andere vergessen zu machen.
Unanfechtbarkeit kommt nicht von der Anpassung an die trostlos langweilige, alltägliche Menge, nicht vom verschämten Leiden an der eigenen Verklemmung, nicht vom Verdrängen heimlicher Wünsche, nein, Unanfechtbarkeit ergibt sich, wenn man alle seine Bedürfnisse erhobenen Hauptes befriedigt. Dazu lassen sich alle motivieren, alle haben irgendein wohlgehütetes Geheimnis, das man bloß anzutippen braucht, worauf man es ihnen an die Stirn kleben kann wie eine Briefmarke.
Das Fräulein fühlte, dass sie seit langen Minuten keinen Satz sagte, keine Geste machte, die dem anderen nicht gründlich gegen den Strich gingen. Es kam ihr sogar der Gedanke, jemanden zu Hilfe zu holen, weil sie allein mit ihm nicht fertigwurde.
Sie standen sich gegenüber, wie entlarvt, beide in einer halb abgeschlossenen Bewegung. Döhring guckte sogar ganz kurz, ob das Fräulein nicht etwa ein bisschen größer war als er. Doch keiner hätte sagen können, was er beim anderen oder auch bei sich selbst entlarvt hatte. Beide schienen zu behaupten, sie durchschauten den anderen, während ihre Situation nur insofern gleich war, als beide in Wirklichkeit nichts sahen, weder beim anderen noch bei sich selbst. Es war peinliche Unwissenheit, in die sie sich ahnungslos verstrickt hatten und aus der sie nicht mehr heraussahen. Nicht nur die Muskeln mögen halb ausgeführte Bewegungen nicht, auch die Seele verträgt sie nicht.
Plötzlich begannen beide gleichzeitig zu sprechen, als wollten sie so rasch wie möglich ihre Befangenheit zerreden, und ließen gleichzeitig den Arm sinken. Darin lag aber unabsichtlich etwas verletzend Leidenschaftliches. Während Döhring sich in seiner Verlegenheit hinter eine kindische Betupftheit rettete und murmelte, man möge ihm verzeihen, aber unter diesem Aspekt habe er sich noch nie betrachtet, entschuldigte sich das Fräulein mit einer unangenehm scharfen, schrillen Stimme, ach Gott, sie wolle ja wirklich nicht aufdringlich sein, aber seit das neue Material gekommen sei, befänden sie sich alle in einem wahren Fieber, in einer fachlichen Aufregung, die sie mit allen teilen möchten. Und wenn sie schon dabei seien, fuhr Döhring seinerseits fort, ob er dann fragen dürfe, warum gerade das bischofsrote oder das schwefelgelbe ihm gut stünden. Er frage ja bloß. Eine Fachperson wie sie könne das sicher beantworten. Wo er doch bisher gar nicht gewusst habe, was für eine Haut er besäße. Unterdessen fuhr auch das Fräulein mit ihrem Sprüchlein
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