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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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fort, sagte, sie nehme das Angebot auch gern zurück, sie habe ja noch anderes auf Lager. Sie beendeten ihre ineinander verhedderten Sätze fast gleichzeitig und schienen in dem unseligen Stimmengewirr den andern gar nicht hören zu können.
    Das war peinlich, und um es zu überspielen, begann das Fräulein wieder zu reden.
    Seine Haut habe, sagte sie, diese zarttiefe Tönung, auf der lebhafte Farben in jedem Fall gut wirken. Es gebe nämlich zwei Grundtypen. Auf den ersten Blick würde man bestimmt sagen, er habe eine weiße Haut. Ein sehr vorteilhafter Hauttyp. Die Grundtönung weiß, und doch herrsche das Kreolenhafte vor. Sie würde wetten, fuhr das Fräulein fort und musste nunmehr sehr aufpassen, nur und ausschließlich in Döhrings Augen zu blicken, sie würde wetten, dass die Sonne auf seiner Haut schon am ersten schönen Frühlingstag eine Spur hinterlasse, während er noch nie einen Sonnenbrand gehabt habe.
    Ob das stimme.
    Sie blickten sich lange in die Augen.
    Auf diese Frage wollte Döhring nun wirklich nicht antworten.
    Wenn er antwortete, geriet er in einen Schlamassel. Dann würde er der aus Floskeln zusammengeschusterten, schamlos berechnenden Welt nachgeben, die ihm jetzt aus den Augen des Fräuleins erwartungsvoll entgegenstarrte.
    Was nützt ihre Schönheit, sagte er zu sich, wenn ich sie verachte.
    Und um sich nicht mehr mit solchen Fragen befassen zu müssen, trat er mit dem Zellophansäckchen hinter den Paravent. Dieser Frau schuldete er keine Erklärungen. Solche Frauen sah man besser als Dienstboten an.
    Das Fräulein musste in diesem Moment vorsichtig operieren. Es gab Kunden, die man in Ruhe lassen musste, manchmal für längere Zeit, während andere fortwährend über den Paravent hinweg unterhalten werden wollten.
    Sie drückte hinter dem Pult erneut auf einen Knopf, und das Licht einer Spotlampe begann diskret den Raum hinter dem Paravent zu beleuchten, wo Döhring eingetreten war. Er erblickte ein graues Tischchen, auf das er die Tüte legen konnte, und gleichzeitig sich selbst in einem großen Spiegel. Er sah einen grauen Stuhl, über dessen hohe Lehne er seine Kleidung hängen konnte. Irgendwie, er verstand es nicht, wurde er vom Spiegel verzerrt, auf erschreckende und komische Weise. Aus seinem Kopf war eine Spindel geworden, sein Körper erschien unnatürlich gestreckt, so sehr, dass weder seine Figur noch seine Gesichtszüge wiederzuerkennen waren. Dieses Spiegelbild machte ihn einsam. Als existierte sein Körper gar nicht, sondern nur das hilflose Gefühlsbündel.
    Natürlich trug auch die Musik das Ihre bei, und die Stille, und die entfernten Männerstimmen.
    Während er zerstreut das Hemd aufzuknöpfen begann, schaute er sich zum ersten Mal genauer um. Es war ein angenehmes Gefühl, auf dem weichen Teppich zu stehen. Hinter dem Paravent konnte er aus größerer Sicherheit hinausschauen. Er hatte sich an das schwarzgrau gefütterte, geräumige weiche Halbdunkel gewöhnt. Der Raum war riesig, von gedrungenen, viereckigen Säulen unterteilt und sehr hoch. Ganz hinten im Geschäft, hinter der dunkel bemalten Brüstung einer Galerie, beugte sich eine schlanke Gestalt zwischen Schubladen, die sie abwechselnd herauszog und wieder zurückstieß. Diese ebenfalls grau lackierten, mit Schildern versehenen Schubladen, die bis zur Decke gingen, wurden vom Licht nur gerade gestreift. Auch die Gestalt ließ sich eher nur als Silhouette ahnen. Sie zog eine Schublade heraus, zuweilen auch zwei miteinander, oder schwang sie auf die Brüstung hinüber und begann schnell etwas zu zählen, wahrscheinlich wurde Inventur gemacht. Manchmal schrieb sie etwas in ein Heft, das man zwar nicht sah, das aber auch auf der Brüstung liegen musste. Zwischendurch warf sie einen flüchtigen Blick in die Tiefe. Döhring schlüpfte nicht gleich aus dem Hemd, weil er nicht wusste, ob er das sollte, sondern begann die Hose aufzumachen. Sein seltsames Gefühl, dass er zwar aus Versehen hierher geraten war, aber hier doch nichts zufällig geschah, verstärkte sich. Als stünde er in einer völlig durchgeplanten und peinlich überwachten Welt.
    Und er war ja auch nicht allein mit dem Fräulein, wie er das im ersten Augenblick gemeint hatte.
    Er sah, es bewegten sich noch andere im Dunkeln, unter fernen Lampen, andere Verkäufer, andere Kunden.
    Über den Paravents schwebten Köpfe, so wie sein Kopf, man hörte zwischen der Musik kurze Rufe, Lacher heraus, falls sie nicht Teil der Musik waren, die alles durchtränkte und

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