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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ganze Zeit das Gefühl, in dem Raum befinde sich noch jemand, beobachte sie aus dem Dunkeln heraus.
    Dann aber arbeitete das Fräulein nicht für ihn, sondern für jemand anderen.
    Sie könne jede Voreingenommenheit, jedes Vorurteil verstehen, sagte sie, während sie ihren Weg fortsetzten. Auch sie trage gern natürliche Materialien, Baumwolle, Wolle, Leinen, aber wozu leugnen, dass die traditionellen Stoffe in ästhetischer Hinsicht zahlreiche Nachteile aufweisen. Nehmen wir die Baumwolle. Sie mag noch so stark gewebt sein, nach mehrmaligem Waschen weitet sie sich unangenehm aus, verliert meistens auch die Farbe, und etwas Trostloseres und Lächerlicheres, das sei ohne Umschweife gesagt, als ein Stück aus der Form geratener, entfärbter Unterwäsche gebe es nicht. Kein noch so perfekter Männerköper, der dadurch nicht lächerlich würde. Ganz zu schweigen von Seide und Kunstseide, die kämen heute sowieso nicht mehr in Betracht. Zwar angenehm zu tragende Stoffe, aber ohne jeglichen Halt. Für die Designer von Damenunterwäsche sei das kein Problem, hier ein bisschen Rüschen, da ein bisschen Spitze, aber ein Stoff, der von Natur aus keinen genügenden Halt biete, sei der männlichen Unterwäschephilosophie fremd.
    Er habe aber viel gewöhnlichere Bedenken geäußert, warf Döhring ein.
    Das Fräulein stand auf einmal hinter einem Pult, drückte auf etwas, und ein starkes Licht überstrahlte sie.
    Wer sich mit Herrenunterwäsche befasse, sagte die junge Frau gedankenvoll, befasse sich mit ihrer Philosophie, was natürlich nicht heiße, dass die spezifischen Gegebenheiten eines Männerkörpers außer Acht gelassen würden, im Gegenteil. Die verwendeten Materialien müssen sich diesen Gegebenheiten anpassen. Sie erwähne das alles nur, weil man ihrer persönlichen Ansicht nach den funktionalen und den ästhetischen Gesichtspunkt nicht trennen dürfe.
    Döhring fragte in ziemlich gereiztem Ton, ob das wirklich ihre persönliche Ansicht sei, der Ausdruck hatte ihn, für ihn selbst unerwartet, verärgert.
    Im Gesicht des Fräuleins erschien ein Warnsignal, und es wurde zum Rückzug geblasen. Sie nickte vorsichtig, ja, das sei ihre persönliche Ansicht.
    Döhring war beeindruckt, wie selbstbewusst und unverschämt sie ihm ins Gesicht log. Gleichzeitig flüsterte eine Stimme ihm zu, er solle nicht insistieren, er würde enttäuscht sein, es lohne sich nicht.
    Trotzdem fragte er, wie sie denn das meine.
    So, dass die ausgeweitete oder aus der Form geratene Unterwäsche, antwortete das Fräulein fast unwirsch, gerade an einem Männerkörper ihre erste Aufgabe nicht zu erfüllen vermöge. Schließlich sei sie zum Schutz da. Damit es keine Situation gebe, in der ihr Halt nicht gesichert sei. Das sei ihre Funktion, die müsse sie erfüllen.
    In den unsichtbaren Lautsprechern knisterte für einen kurzen Moment eine unangenehme Stille.
    Das Fräulein senkte die Wimpern, als wolle sie ihren Blick schamhaft abwenden. Aber nicht weil sie sich schämte, sondern weil es die fachliche Würde verlangte. Schließlich war sie es, die sich auf Männerunterwäsche verstand, auch wenn sie ihr Wissen nicht herausstreichen durfte. Das Bündel starken Lichts fiel in einem steilen Winkel auf ihre Stirn. Es legte sich auf ihre Wimpern, malte den Rand ihrer fast schwarz gemalten Lippen nach, machte lange Schattenschnitte über ihr Gesicht. Fast schien es drauf und dran, die Maske von diesem Gesicht zu schnippen.
    Döhring zuckte zusammen, wollte es nicht sehen, er spürte, dass in dieser Beleuchtung auch sein Gesicht ungeschützt war. Das alles dauerte nur einen Augenblick, die Musik setzte wieder ein, immer lauter und schärfer, bis sie zu einer einzigen einheitlichen Klangwelle wurde.
    Das Fräulein hob den Blick.
    Und sagte, sie mache lediglich bescheidene Vorschläge, und wenn sie ihm damit nicht zu viel Zeit raube, würde sie ihm die Wäsche wenigstens zeigen. Sie nehme an, Döhring trage nicht die kleinste Unterwäschengröße, aber auch kaum eine viel größere, wahrscheinlich Größe zwei. Ob sie sich irre.
    Döhring bedeutete ihr unsicher, sie irre sich nicht, er durfte ja nicht gestehen, dass er noch nie Bade- oder Unterhosen für sich gekauft hatte. Dann überraschte er sich selbst damit, dass er es trotzdem aussprach. Die Größen kenne er überhaupt nicht, er habe noch nie für sich eingekauft.
    Ohne seine Antwort abzuwarten, zog das Fräulein eine tiefe Schublade auf, und wie ein Zauberer fächerte sie mit geschickten Fingern eine

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